Neuer Versuch der Viererbande

Bundesdeutsche Großverlage wollen Vertriebskartell in der DDR / Ausschaltung der Grossisten  ■  Von Karl-Heinz Ruch

Wenn in deutschen Behördenstuben noch nach Dienstschluß gearbeitet wird, dann steht viel auf dem Spiel. Um 17 Uhr trafen sich gestern Vertreter der vier bundesdeutschen Großverlage (Gruner & Jahr, Burda, Bauer, Axel Springer) beim Bundeskartellamt in West-Berlin, um die zweite Runde ihrer geplanten Übernahme des DDR-Pressevertriebes einzuläuten.

Das Bundeskartellamt ist alarmiert und sieht sich zuständig, weil der massive Griff nach dem Zeitungsvertrieb in der DDR Rückwirkungen auf den bundesdeutschen Markt haben kann. Den ersten Versuch zur Errichtung eines Vertriebskartells in der DDR hatte die Viererbande mit der DDR-Post im Stile eines Handstreichs abgewickelt. Es gab böses Blut. In allerletzter Minute wurde es durch die Proteste von bundesdeutschen Verlagen (unter anderem dem Spiegel-Verlag) und durch den Runden Tisch in Ost-Berlin verhindert.

Das neue Modell sieht jetzt ein Vertriebssystem als Joint -venture unter Führung der großen vier vor, an dem sich ein noch zu gründender DDR-Verlegerverband und ein ebenfalls noch zu gründender DDR-Grossistenverband mit jeweils fünfundzwanzig Prozent des Kapitals beteiligen sollen. Der Verdacht besteht, daß die beabsichtigte Beteiligung von DDR -Partnern an dieser Vertriebsgesellschaft lediglich die tatsächlichen Machtverhältnisse in diesem Vertriebskartell verschleiern soll. Tatsächlich gibt es in der DDR jedoch weder Grossisten noch Verleger, die diese Rolle eines gleichwertigen Partners in der Umarmung der großen vier Verlage einigermaßen ausfüllen könnten.

Am Montag abend wurde in der vierzehnten Etage des Berliner Verlages der DDR-Verlegerverband gegründet. Aber schon in der Diskussion über die Beteiligung an dem neuen Pressevertrieb sprachen offensichtlich zwei Teilnehmer für die Interessen von Gruner & Jahr. Da in der DDR im Moment aber niemand offenlegt, mit welchem Westverlag er nun kooperiert, war es ohnehin schwer auseinanderzuhalten, ob die Wünsche der um das Überleben kämpfenden DDR-Verlage oder Interessen möglicher westdeutscher Kooperationspartner Vorrang hatten. Die Initiative zur Gründung eines Grossoverbandes als zweiten DDR-Partner des geplanten Joint -ventures wurde jedenfalls am Montag auch angekündigt.

Ausgeschlossen von dem neugegründeten Vertriebskartell sind nach wie vor westdeutsche mittelständische Verlage und Grossisten, die allein ein ernsthaftes Gegengewicht zu den großen vier Verlagen bilden könnten. Der Westberliner 'Tagesspiegel‘ erklärte dazu, daß er an den Vorbereitungen des Vertriebskartells nicht beteiligt worden sei, sondern den Aufbau eines eigenen konzernunabhängigen Vertriebs in Zusammenarbeit mit kleineren Verlagen bevorzuge.

Die Großverlage verfolgen offensichtlich das Interesse, die bundesdeutschen Grossisten vorab vom DDR-Markt auszuschalten und damit langfristig die alleinige Kontrolle über den gesamtdeutschen Zeitungsvertrieb zu gewinnen. Zudem versuchen sie, wie schon beim ersten Ansatz, auf dem DDR -Markt die gleichen Marktanteile durchzusetzen, die sie schon auf dem Zeitungsmarkt der Bundesrepublik besitzen. Den kleinen und mittelständischen Verlagen würde damit jede Möglichkeit zu eigenen Verkaufsstrategien genommen werden. Ganz abgesehen davon, daß ein derartiges Vertriebskartell der Viererbande den Aufbau eines unabhängigen Pressewesens in der DDR gleich von Anfang an schädigen würde.