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Den Tränen nah

■ Martin Scorsese über sein Vorbild Michael Powell

In der 'Liberation‘ vom letzten Freitag erinnert sich der Kritiker Louis Skorecki an ein Treffen Martin Scorseses mit Michael Powell in einem Londoner Kino. Anlaß war die Wiederaufführung von Powells Film „Colonel Blimp“ im Jahre 1985. Kein Regisseur hat das amerikanische Kino der Generation von Scorsese und Coppola, de Palma und Spielberg tiefer beeinflußt als Michael Powell. Coppola und Scorsese wollten es Powell durch die Produktion seines letzten Films danken. Powells Drehbuch war schon fertig. Jetzt wird es möglicherweise von Scorsese selbst verfilmt.

Scorsese - so Skorecki in seiner Erinnerung - war bei der Londoner Veranstaltung den Tränen nah. Skorecki war geistesgegenwärtig genug, den Walkman hinzuhalten.

„Wie soll ich das ausdrücken? Wo soll ich anfangen? 1971/72 habe ich mir mit meinen Freunden Brian de Palma und Spielberg alle Powell-Filme angesehen, I Know where I am Going, A Matter of Life and Death, all diese Meisterwerke aus den vierziger Jahren. Wir haben nichts verstanden. 'Wer ist dieser Regisseur? Was sind das für Dinger?‘ Dann haben wir nachgeforscht, aber ich habe immer weniger verstanden! Peeping Tom war ein Kultfilm, der in Schwarzweiß-Kopien in den Kinos der gefährlichsten Viertel von New York lief. Ich kannte einen Typen, der eine Kopie in Eastman Color hatte. Die ging nach und nach kaputt. Das hat mich krank gemacht. Vor allem konnte ich nicht verstehen, wie ein einziger Mann so verrückte und so unterschiedliche Filme machen konnte. Später lernte ich Michael natürlich kennen, wir hatten gemeinsame Projekte. Aber erst ein Artikel aus der englischen Filmzeitschrift 'Sight and Sound‘ hat mir - mir! - die Einflüsse klargemacht, die Powells Filme auf meine hatten. Der Artikel hatte recht!“ (...)

„Als Zehnjähriger habe ich mein Leben in Kinos verbracht, und jedesmal, wenn ich das Logo von 'The Archers‘ sah (ich wußte damals noch nicht, daß es sich dabei um das Emblem der Produktionsgesellschaft von Michael Powell handelte, dessen Namen ich auch gar nicht kannte), war ich völlig aus dem Häuschen: Ich wußte, daß jetzt etwas ganz und gar Einzigartiges, Magisches auf der Leinwand geschehen würde. Kein anderes Logo hat je einen solchen Eindruck auf mich gemacht, keines war so verheißungsvoll. Der erste Film von Powell, den ich gesehen habe, war The Thief of Bagdad, aber es hat Jahre gedauert, bis mir klar wurde, daß das für die Regisseure meiner Generation ein fantastischer Einfluß war. Fragen Sie Coppola, er wird Ihnen gleich Sabus Lied aus dem Film vorsingen: 'I want to be a sailor / Can't you understand it?‘.“ (...)

„Ich weiß jetzt, daß The Red Shoes der Film war, der mir Lust gemacht hat, selbst Regisseur zu werden. Ich war acht Jahre alt. Mein Vater nahm mich mit in die Academy of Music, auf der 14.Straße. Ich saß da mit offenem Mund.

„Diese Kamera, die in Colonel Blimp durch die Luft schwebt, die Dudelsäcke, die im Rhythmus der atemberaubenden Fahrten spielen - diese ganze Verrücktheit und Extravaganz, das war eine unmittelbare Inspiration für meine Arbeit. Die Zeitlupenaufnahmen in The Raging Bull habe ich gemacht, um diese magische Wirkung zu erzielen, dieses Ballettgefühl, das es in allen Filmen von Powell gibt.“ (...)

„Und diese Szene in 49th Parallel, wo der Mann niest! Das ist genau das, was ich machen will: eine experimentelle Dimension im kommerziellen Kino. Das wird immer schwieriger, aber es ist das einzige, was mich interessiert.“

Quelle: 'Liberation‘ vom 23.Februar 1990

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