: „Die Studie ist nicht widerlegbar“
Die Strahlenforscherin Inge Schmitz-Feuerhake, Wissenschaftlerin an der Uni Bremen, über die aufsehenerregende Leukämie-Untersuchung von Martin Gardner ■ I N T E R V I E W
taz: Sie kennen die Gardner-Studie, die im renommierten 'British Medical Journal‘ veröffentlicht worden ist. Was halten Sie davon?
Schmitz-Feuerhake: Die Befunde sind sensationell. Die Studie ist seriös, und sie ist belastbar. Gardner weist nach, daß die erhöhten Leukämie-Fälle bei Kindern im Umfeld der Atomanlage von Sellafield auf die Bestrahlung der Väter dieser Kinder zurückgeht.
Ist mit dieser Studie tatsächlich eine Beweisführung über den Zusammenhang von Strahlenbelastung, Mutation der Spermien und den Leukämien der Kinder gelungen?
Die Strahlenfolgen im Niedrigdosis-Bereich sind im Einzelfall niemals monokausal belegbar. Dies geht nur durch statistische Untersuchungen, und genau dies hat Gardner getan. Er untersucht schon seit mehreren Jahren die Leukämien und andere bösartige Erkrankungen bei Kindern in dieser Region. Sein statistischer Befund ist hochsignifikant. In dem Ort Seascale, nahe der Wiederaufarbeitungsanlage von Sellafield, sind fünf Leukämien bei Kindern aufgetreten, vier davon bei Kindern, deren Väter in der Anlage gearbeitet haben und die bei ihrer Arbeit nachweislich hoch belastet worden sind. Die Strahlenbelastung erfolgte noch vor der Zeugung der Kinder.
Kann man mit solch kleinen Zahlen überhaupt operieren und gültige Ergebnisse ableiten?
Das kann man, weil Leukämie im Kindesalter eine extrem seltene Erkrankung ist. Die Leukämierate ist übrigens nicht nur in dem Ort Seascale erhöht. Es gibt in der gesamten Region eine signifikante Erhöhung. In Seascale ist die Leukämierate allerdings achtmal so hoch wie zu erwarten und damit am dramatischsten. Wenn man die Region Sellafield verläßt, nimmt auch die Leukämierate wieder ab. Der Effekt hängt also mit der Wiederaufarbeitungsanlage zusammen.
Wie ist denn Gardner in seiner Untersuchung vorgegangen? Lassen sich die Mutationen der Spermien direkt nachweisen?
Das ist eine Folgerung von ihm. Gardner hat nur die Leukämien untersucht und hat verschiedene Einflußfaktoren betrachtet und damit korreliert. Der Beruf des Vaters war nur einer dieser Faktoren. Dazu gehörten auch vorgeburtliche Bestrahlungen, Röntgendiagnostik während der Schwangerschaft, Alter der Mutter, Ernährung mit belasteten Nahrungsmitteln etc. Die Strahlenbelastung des Vaters durch die Arbeit in der Wiederaufarbeitungsanlage war aber der mit Abstand gewichtigste Ko-Faktor. Allenfalls käme noch eine direkte Bestrahlung der Kinder in Frage durch kontaminiertes Material, das die Väter mit nach Hause gebracht haben. Das scheint aber schwer vorstellbar. Die These, daß eine Bestrahlung der Keimzellen des Vaters zu Leukämien bei den Kindern führen kann, ist übrigens nicht ganz neu, das sollte man nicht vergessen. In der amerikanischen sogenannten Tristate-Studie von Bross et al. wurde dieselbe These formuliert. Auch dort waren die Effekte bei Kindern, deren Eltern einer Röntgen-Diagnostik ausgesetzt waren, nachweisbar, wenn auch in geringerem Ausmaß.
Aber die Forschung war doch bisher eher auf direkte Folgen der Strahlenbelastungen ausgerichtet. Also was passiert mit denjenigen, die kontaminiert werden?
Das ist richtig. Der genetische Effekt hat in der Debatte bislang so gut wie keine Rolle gespielt. Gardners Untersuchung ist hier sicherlich ein Einschnitt.
Was ist zu Gardners Person zu sagen?
Gardner wurde schon 1984 von der britischen Regierung in die sogenannte Black-Kommission berufen. Die Kommission sollte die Leukämien in der Region von Sellafield untersuchen.
Die britische Regierung hat aber jetzt erst mal eine Untersuchung der Untersuchung angekündigt. Was sagen Sie zu den Reaktionen auf Gardners Arbeit?
Die Studie hat wie eine Bombe eingeschlagen. Sie widerspricht natürlich allen Versuchen, die Leukämien quasi als natürliches Phänomen abzutun und jeden Einfluß der radioaktiven Bestrahlung abzuleugnen. Also ist sie wirklich sensationell, und ich glaube, sie ist nicht widerlegbar.
Interview: Manfred Kriener
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