Spielend lernen

■ Mal kein kopflastiges Dritte-Welt-Buch

11. Februar 1990. Seit Jahren hatten die Medien auf die Nachricht gewartet. Endlich sollte nach 27 Jahren Haft eine Symbolfigur der Schwachen in dieser Welt freigelassen werden: Nelson Mandela. Doch dann kam es anders: Helmut Kohl hatte in Moskau die Zustimmung zur deutschen Selbstbestimmung erhalten: Nachricht Nummer 1. Erstaunlich nicht, denn seit Oktober 1989 sind unsere Augen gen Osten gerichtet. Was sonst weltweit geschieht, erscheint unter „ferner liefen“, wenn überhaupt. Oder wer weiß noch von Hungersnöten in Äthiopien und Angola? Ein gravierendes Problem unserer Zeitgeschichte wird einmal mehr auf die lange Bank geschoben: der Nord-Süd-Konflikt. Zugegeben: Keiner will die Bedeutung der Ost-West-Ereignisse bezweifeln. Nur, was war für die Moral der Politik symptomatischer als die Entscheidung der Bundesregierung, Geld für die Entwicklungshilfe in den Ostblock zu schicken?

Aber hatten Dritte-Welt-Berichte je Konjunktur bei uns? Außer Kriegen, Hungersnöten und Flüchtlingsströmen? „Das Elend anzusehen macht elend“, so faßt ein jetzt erschienenes Dritte-Welt-Werkbuch die leidige Erfahrung von Pädagogen zusammen, die seit Jahren versuchen, den Konflikt zwischen Arm und Reich zu vermitteln; in Schulen, Jugendgruppen oder Erwachsenenbildung. Und obgleich wir keinesfalls über einen Mangel an Informationen zur Armut klagen können, tendiert die Reaktion darauf wieder gegen Null. „Die wollen doch nicht arbeiten“, „alles übertrieben“, „die sind doch trotzdem glücklich“ oder „kennen wir ja alles schon“, so die häufigen Antworten.

„Abwehr“, sagen die Buchautoren, ist die Antwort auf ein soziales Problem, was langsam, aber beständig auf uns zurollt. Doch ohne lange herumzulamentieren an der Ignoranz der Mitbürger, kehren die Dritte-Welt-Engagierten vor der eigenen Tür: Denn Betroffenheit könne nicht entstehen, wenn es „kaum Anreize“ gebe für das „Entdecken von Zusammenhängen oder die Suche nach Alternativen“. Bewußtsein allein mobilisiere nicht, das sei ein „(Aber)glaube an die automatische Wirkung von Information“.

Kein Wunder: Zu sehr orientiere sich jeder entwicklungspolitisch Engagierte an dem Wissen der elitären „akademischen Fachwelt“. Der größte Teil der Bevölkerung ist mit solchen Informationen aber überfordert, schaltet ab und wendet sich einfacheren Dingen zu: Wozu sich einer Ohnmacht ergeben, wenn ohnehin keine Alternativen da sind?

Doch mit der informationsbeladenen Medienarbeit müsse Schluß sein, fordert das Buch. „Nur eine Politik der kleinen Schritte macht es den Nicht-Insidern möglich mitzugehen.“ Und als Schritt in diese Richtung legt das „Dritte-Welt-Haus Bielefeld“ als Herausgeber eine umfangreiche Sammlung von erprobten und bewährten Spielen und Unterrichtsvorschlägen vor. Titel: Vom Ampelspiel bis zur Zukunftswerkstatt. Übersichtlich gestaltet finden sich in diesem Werkbuch Spiele für Achtjährige, die eine halbe Stunde dauern, wie auch Erwachsenenspiele, die für einen Abend gedacht sind. Dazu viele Tips und Angebote für Schulunterricht und Freizeitgruppen, die eben „spielend“ in das Thema Dritte Welt geführt werden wollen: ganze Unterrichts- und Freizeitplanungen, die in unserer heutigen multimedialen Gesellschaft wohl erforderlich sind.

Ein Buch, das ausschert aus der Reihe der kopflastigen Dritte-Welt-Bücher. Ein Buch, das phantasievoll an die schon fast vergessenen Entwicklungsproblematik rangeht. Ein Buch, das zur Handlung auffordert.Uwe Pollmann

Dritte-Welt-Haus Bielefeld: Von Ampelspiel bis Zukunftswerkstatt . Ein Dritte-Welt-Werkbuch. Peter-Hammer -Verlag, Wuppertal 1990. 203 S., 16,80 DM