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Der Wohnungsmarkt ist zusammengebrochen

■ Bundesweit fehlen über eine Million Wohnungen / In den Metropolen schwindelerregende Mieten und hinterherhinkende Mietspiegel / Schere zwischen Angebot und Nachfrage öffnet sich zusehends / Berlin ist Spitze mit 170.000 Wohnungssuchenden / Mieten steigen weiter

Hamburg (dpa/vwd) - Quer durch die Bundesrepublik ist der Wohnungsmarkt in den vergangenen zwölf Monaten explodiert. Vor allem in Ballungszentren haben knappes Angebot und zusätzliche Nachfrage die Mieten in bislang unbekannte Höhen geschraubt, aber auch in ländlichen Regionen übersteigt die Zahl der Wohnungssuchenden bei weitem die der leerstehenden Wohnungen. Allein in Berlin suchen nach Angaben des Senats etwa 170.000 Menschen eine Wohnung. Rund 30.000 Berliner übernachten in Obdachlosenheimen oder auf der Straße. Stuttgart meldet 20.000 fehlende Wohnungen, in Hannover sind es 8.000, in Düsseldorf 11.000 und in Hamburg mindestens 30.000. Die Hansestadt hat inzwischen die ersten leerstehenden Wohnungen beschlagnahmt.

Bundesweit, so schätzt der Deutsche Mieterbund in Köln, gibt es eine Million Wohnungen zu wenig.

Die meisten Experten in Wohnungsämtern und Verbänden machen „langfristige Entwicklungen“ für die zugespitzte Lage verantwortlich. Auf der Angebotsseite mache sich bemerkbar, daß sich private Investoren während der 80er Jahre zurückgehalten haben. Auch große institutionelle Investoren, wie Versicherungen, bauten eher gewerbliche Immobilien als Mietwohnungen. Der Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau verschärfte die Situation.

Das Ergebnis der sich öffnenden Schere zwischen Angebot und Nachfrage läßt sich an den Mieten ablesen. Im Durchschnitt sind die Mieten in den vergangenen zwölf Monaten um zehn bis 15 Prozent gestiegen, heißt es im Wohngeld- und Mietbericht der Bundesregierung. Stuttgart und Düsseldorf melden Preissteigerungen bis 20 Prozent, Berlin in einigen Marktsegmenten noch mehr. Die offiziellen Mietspiegel der Städte, so die überwiegende Meinung, hinkt der tatsächlichen Entwicklung hinterher.

Die Verfahren wegen Mietwucher - 50 Prozent über ortsüblicher Vergleichsmiete - haben noch nicht merklich zugenommen, wohl aber gerichtliche Auseinandersetzungen wegen überhöhter Mieten. Bernhard Stöver vom Mieterverein Hannover glaubt allerdings, daß es hier eine Dunkelziffer gibt.

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt wird sich in den nächsten Jahren nicht bessern. „Weiter rapide bergauf“ sei die Preistendenz für 1990, meint der Ring Deutscher Makler in Kiel. Die steigenden Zinsen für Baugeld üben zusätzlichen Druck auf die Mieten aus. Die verschiedenen Wohnungsbauprogramme von Bund, Ländern und Gemeinden können die Probleme kurzfristig nicht lösen, weil die Wohnungen ja auch ihre Bauzeit haben und die Wohnungsbauwirtschaft an der Grenze ihrer Kapazitäten arbeitet.

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