Kohl versteift sich auf sein Junktim

Kanzler bekräftigt seine Forderung: Anerkennung der polnischen Westgrenze nur bei Verzicht auf Reparationszahlungen und Entschädigungen ehemaliger Zwangsarbeiter / Zum Streit mit der FDP in der Grenzfrage: „Es wird in der Koalition sehr schwer“  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Bundeskanzler Helmut Kohl schaltet auf stur. Trotz Koalitionsknatsches besteht er darauf, die endgültige Anerkennung der polnischen Westgrenze von einem vertraglichen Verzicht Polens auf Reparationen und Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter und der Bekräftigung von Rechten der deutschen Minderheit in Polen abhängig zu machen. Nach seinem 90 minütigen Gespräch mit Genscher erklärte Kohl am Abend vor der CDU/CSU Fraktion: „Es wird in der Koalition sehr schwer. Ich weiß, wo man Kompromisse machen kann und wo nicht.“ Eigentlich war über das Gespräch stillschweigen vereinbart worden. Nach der Präsidiumssitzung seiner Partei machter Kohl vor der Presse in Bonn erneut klar, daß er für eine Wiedervereinigung auf der Grundlage von Artikel 23 Grundgesetz, also einen Anschluß der DDR ist.

Die heftige in- und ausländische Kritik an seinem Junktim wies Helmut Kohl zurück. Er bestritt, daß er die Anerkennung der Grenze mit Bedingungen habe verknüpfen wollen. Mit einer neuerlichen Verzichterklärung Polens (das Land hatte bereits 1953 auf alle Reparationen gegenüber Deutschland verzichtet) gehe es ausschließlich um die Bestätigung bestehender Verpflichtungen. Diese Bestätigung liege im Interesse der Deutschen und ihrer Nachbarn. Der deutsche Bürger, so Kohl, müsse von seinem Regierungschef die Frage beantwortet haben, welche Forderungen noch auf ihn zukämen. Allerdings stellte Helmut Kohl die faktische Lage gestern falsch dar: Auf die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter hat Polen in dem Vertrag mit der DDR von 1953 gerade nicht verzichtet. Was Kohl nun von den Polen fordert, ist demnach keine bloße Bestätigung. Seine Interpretation, Zwangsarbeiterentschädigungen gehörten zu Reparationen, war noch gegen Jahresende auf einer Anhörung des Innenausschusses in Bonn mehrheitlich abgelehnt worden. „Keine Chance“ gibt der Bundeskanzler der mit Ministerpräsident Mazowiecki vereinbarten Prüfung, ob ehemalige Zwangsarbeiter nicht von der Bundesrepublik entschädigt werden sollten. Allerdings dauert diese Prüfung nach Darstellung der Bundesregierung noch an. Einen möglichen Härteausgleich für Zwangsarbeiter lehnte Kohl indirekt ab: Es würde sich diese Frage dann auch für weitere Länder stellen. Überdies werde man gerade Polen gegenüber soviel Wirtschaftshilfe leisten. „Da müssen wir doch hinter niemandem zurückstehen.“ Daß er die endgültige Anerkennung der Westgrenze Polens überdies von einer vertraglichen Absicherung der Rechte der deutschen Minderheit in Polen abhängig macht, begründete Fortsetzung Seite 2

Kohl mit einem „Gebot der Solidarität“ gegenüber den dort lebenden Deutschstämmigen. Grundsätzlich will Kohl die „drei Themen Grenzanerkennung, Reparationen und Minderheitenrechte vom Tisch haben“. Eine mögliche gemeinsame Erklärung von Bundestag und

Volkskammer sollte nach Aussagen von Kohl auf der Grundlage einer Bundestagserklärung vom 8. November abgeben werden. Einen Grenzvertrag mit Polen könne allerdings erst ein gesamtdeutsches Parlament ratifizieren. Für einen Friedensvertrag gebe es nach einem solchen Grenzvertrag allerdings keinen Grund mehr. Denn „ich gehe davon aus, daß mit der Wiedervereinigung eine neue Situation ensteht“. Ohne Einschränkung hat sich Kohl für einen Anschluß der DDR gemäß 23 GG ausgesprochen. Kritik an dem Junktim Kohls übte gestern erneut die FDP: „Ich weiß gar nicht, wie man auf die Idee kommt, dieses Faß zu öffnen“, sagte FDP-Chef Lambsdorff.