„Eine fatale Symbiose“

Mit Beruhigungsmitteln hält man sich potentiell aggressive Frauen vom Leib  ■ K O M M E N T A R

Wären Umsatzzahlen ein bewährtes Mittel gegen Schlaflosigkeit, die Herren in den Vorstandsetagen internationaler Pharmakonzerne würden im Tiefschlaf liegen. Der Branchenriese Hofman LaRoche hat allein in der Bundesrepublik einen Jahresumsatz von 230 Millionen DM. Und das Gros der Ärzte assistiert bereitwillig dabei, die Umsätze der Pharma-Multis zu vergrößern.

Da hilft es auch nicht viel, immer wieder und immer lauter zu bekunden, daß die Verschreibungszahlen im Tranquilizerbereich „leicht rückläufig“ sind. Freuen kann sich darüber nur, wer nicht erkennt, daß der Höhepunkt der krankmachenden medikamentösen Gesundbeterei längst überschritten ist - mit noch nicht absehbaren Spätfolgen für unser ohnehin marodes Gesundheitssystem.

Frauen im Alter zwischen 20 und 25 Jahren bekommen, laut Statistik, doppelt soviele Schlaf- und Beruhigungsmittel verschrieben wie Männer dieser Altersgruppe. Dies gilt immer noch - und daran wird sich, so ist zu befürchten, auch im nächsten Jahrzehnt nichts ändern. Von diesen Zahlen auf die durchschnittliche - eine durchschnittlich „schlechte“ Befindlichkeit von Frauen zu schließen, wäre jedoch so töricht wie verfehlt. Es würde bedeuten, dem jahrhundertealten Geschwätz vom „schwachen“, sprich: kranken Geschlecht das Wort zu reden.

Der von vielen, von Schlafstörungen betroffenen Frauen beschriebene „ewige Kreislauf“ beginnt nicht erst bei der ersten durchwachten Nacht, seinen Anfang findet er vielmehr in einer hochgradig leichtfertigen und ignoranten, geschlechtsspezifischen Diagnostik. Das alte Hysterikerinnenbild ist längst aktualisiert. - Die Vorstellung von der labilen Frau, die auf die neuen, vielfältigen Belastungen des Hochtechnologiezeitalters mit Flucht reagiert.

„Mehrfachbelastungen“, so heißt es immer wieder bei den sogenannten Fachleuten seien die wahren Auslöser weiblicher Schwierigkeiten mit dem Körper-Seele-Gleichgewicht. Dahinter aber versteckt sich ein Gedankenspiel der besonders perfiden Art: Wenn Frauen „mehr“ auf sich nehmen als die meist selbstverständlich delegierten haushaltstechnischen und erzieherischen „Aufgaben“, dann sind sie im Zweifelsfall selbst schuld: an Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Asthma, Hypotonie und dem „Hausfrauensyndrom“.

Fazit: Das tradierte Bild von der schwachen Frau und das Verkaufsinteresse der Pharmaindustrie passen zueinander wie Topf und Deckel. Eine fatale Symbiose, der Ärztekammern und

-verbände fast durchweg schweigend gegenüberstehen.

Hartnäckig in Schweigen verharren auch die meisten Krankenkassen und erhöhen ebenso stillschweigend die Beiträge, um die horrenden Folgekosten solch verfehlter Therapie aufzufangen.

Die Arbeit all dieser Konzerne und Institutionen, genauso wie die der ausführenden Kräfte, ist, daran besteht kein Zweifel, durchaus von gesellschaftlichem Interesse: Mit benzodiazepinhaltigen Substanzen hält man sich potentiell aggressive Frauen vom Hals. Oder mit den Worten der Soziologinnen Andrea Ernst und Ingrid Füller: „Wieviel Konfliktpotential tatsächlich durch Medikamente gebunden wird, bleibt unserer Phantasie überlassen.“

Wer behauptet, das „Vater-Land“ hätte hier mal wieder erfolgreich ein Problem verpennt, irrt. Man hat sich prima eingerichtet.

Bibi Schrenk