„Aus der Krise des Kommunismus müssen wir links heraus“

Redeauszüge Pietro Ingraos (73) auf einer ZK-Sitzung der PCI /Der Repräsentant des linken Flügels formulierte ein Manifest gegen pragmatische Manöver der Partei  ■ D O K U M E N T A T I O N

Wir brauchen eine konstitutierende Phase zur Neugründung der Linken, heißt es. Soll es sich dabei nicht nur um Augenwischerei mit völlig ungewissem Ausgang handeln, müssen wir zunächst einmal Partner ausmachen und belegen, daß es sich dabei auch um bedeutende politische Kräfte handelt und daß es eine Basis für gemeinsame Arbeit sowie ein Mindestmaß an Übereinstimmung mit ihnen gibt. Von alledem sehe ich bisher überhaupt nichts.

Die Grünen zum Beispiel zählen sich zu unseren Freunden; aber zum Projekt selbst haben sie bereits nein gesagt. Auch keine einzige bedeutende kirchliche Gruppierung scheint bereit, sich in die neue linke Formation einzubringen; nicht einmal die Radikale Partei ist uns offenbar als Partner sicher. Weiter: Weder in der Sozialistischen noch in der Sozialdemokratischen oder der Republikanischen Partei sehe ich bedeutende Kräfte, die sich von ihrem derzeitigen Umfeld lösen wollten. Sogar bei den Linksunabhängigen, die uns doch am nächsten stehen, gibt es Dissens. Zu alledem hat der Vorsitzende der Sozialistischen Partei auch noch erklärt, daß er einzig gangbare Weg die „Sozialistische Einigkeit“ ist, was de facto das Aufgehen in der PSI darstellt - die seit einem Jahrzehnt eine Politik verfolgt, die wir gerade bekämpfen. Auf welcher Basis soll man da also von einer „konstituierenden Phase“ sprechen?

Doch es geht nicht nur um den Kommunismus. Es hat doch ganz verschiedene Theorien und strategische Vorstellungen zum Kommunismus gegeben, von Marx über Engels, Rosa Luxemburg, Lenin, Stalin bis zu Gramsci. Ich behaupte, daß der italienische Kommunismus etwas anderes war und ist als der der kommunistischen Parteien des Ostens und ihrer diktatorischen Regime, die heute zusammenbrechen und die niemals eine kommunistische Gesellschaft dargestellt haben. Doch reden wir nicht von der Vergangenheit. Wir stehen heute offenbar vor einem expandierenden Prozeß der Vermarktung, beherrscht von neuen Aspekten kapitalistischer Materialisierung, die nun auch die verbliebenen Reste von Autonomie und Eigenständigkeit derzeit noch lebendiger Bereiche zerschlägt; wir stehen vor neuen Arten von Beziehungen, in denen sich das tiefe Bedürfnis nach einer Kommunikation ausdrückt, die man nicht Geld realisieren oder messen kann.

Die ökologische Frage zum Beispiel bedeutet in ihrem tiefsten Sinn, daß man die Vorstellung vom „Menschen als Herrn der Natur“ abbauen und sich damit der Alleinherrschaft der „Produktion“ entgegenstellen muß; sie bedeutet auch, die Existenz und den Schutz anderer, „nichthumanitärer“ Realitäten anzuerkennen. Genauso wirft die „feminine Differenz“ Fragen gegenüber heute bestimmenden Marktmechanismen und der Gleichberechtigung auf. Der Bereich notwendiger Widerstände gegen die Herrschaft der kapitalistischen Akkumulation erweitert sich derzeit mithin beträchtlich.

Wir erklären heute zu Recht, daß wir den bürokratischen Stalinismus bekämpfen. Vor einigen Jahren habe ich in einem Buch von Staat gesprochen, der, statt etwas zu tun, „helfen soll, etwas zu tun“. Wenn wir nicht wollen, daß es die großen Multis - an Stelle des Staates gesetzt - sind, die etwas „tun“, müssen wir sofort und mutig Bereiche und Kräfte eines neuen gemeinschaftlichen Lebens schaffen, mit denen wir die Perversität der neuen Wirtschaftskonzentrationen und der Informationsmonopole zu bekämpfen vermögen.

Man berichtet mir, daß die kommunistischen Parteien im Osten ihren Namen ändern. Nun habe ich aber gerade in meiner Partei die Unabhängigkeit von der UdSSR gelernt - es wäre lächerlich, sie gerade jetzt aufzugeben. Vor allem jetzt, wo im Osten ein Erneuerungskampf begonnen hat und große Massen für Freiheit und Demokratie demonstrieren - es also keineswegs nur Schutt gibt, auch nicht bei den Kommunisten.

Nie war es so notwendig wie heute, uns klar auszudrücken; und diese Partei hat das Recht dazu. Sonst bliebe dieses Wort „Demokratie“, das so gerne angewendet und hochgelobt wird, auf sehr dramatische Weise nur eine rhetorische Phrase - oder ein Betrug.