Atommeiler senkt sich ab

Befürchtungen von Geologen werden wahr / Kühlturm des AKW Neckarwestheim senkt sich um 10 cm / BI: AKW steht auf unsicherem Grund / Klage nachgereicht  ■  Aus Stuttgart Erwin Single

Ein Jahr nach Inbetriebnahme des Atommeilers Neckarwestheim II hat sich der Boden unter dem AKW abwärts bewegt. Um knapp zehn Zentimeter senkte sich der Grund unter dem Hybrid -Kühlturm, wie bei Messungen am Fundament nun festgestellt wurde. Der Reaktor aber läuft weiter; die Betreiber bleiben cool. Es gäbe überhaupt keinen Anlaß zu Bedenken, erklärte der Sprecher des Gemeinschaftskernkraftwerks (GKN), Uwe Mund, Absenkungen unter dem „sicherheitsrelevanten Teil“ und dazu zählt der Kühlturm nicht - seien nicht festgestellt worden. Auch in der zuständigen Sicherheitsbehörde, dem Stuttgarter Umweltministerium bleibt man gelassen. „Der Betrieb des Kraftwerks ist nicht beeinträchtigt“, lautet die lapidare Antwort, ausgegeben von Ministeriumssprecher Thomas Langheinrich. Aber Langheinrich gibt zu, daß Senkungen in diesem Ausmaß „bautechnisch nicht erwartet wurden“. Zur Sicherheit soll unter der mit 250.000 Kubikmeter Beton und 40.000 Tonnen Armierungsstahl bombensicheren Reaktorkuppel mit ihrem vorsorglich acht Meter dicken Betonfundament weitere Messungen vorgenommen werden, versucht GNK-Sprecher Mund zu beruhigen.

Dabei ist die Gefahr einer Bodenabsenkung bei den Experten seit Jahren kein Geheimnis. Am Standort im Neckartal in der Nähe von Heilbronn schneiden sich zwei tektonische Erdschichten, die sich gegeneinander verschieben. Außerdem waschen starke Grundwasserbewegungen den aus Muschelkalk, Anhydrit- und Gipsschichten bestehenden Untergrund aus und bilden Hohlräume. In einer Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Landtags warnte der Stuttgarter Geologe Hermann Behmel bereits 1988 eindringlich vor Untergrundproblemen: der Boden sei „untauglich“ und zudem nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht; für den Atommeiler bestehe ein „Restrisiko“. Landesgutachter Gerd Gudehus und der Präsident des Geologischen Landesamts, Bernhard Damm, bestätigten zwar weitgehend die von Behmel beschriebenen geologischen Verhältnisse, hielten aber in der Konsequenz dagegen: der Standort sei nicht unsicherer als andere; die Gefahr von Schäden bestehe nicht. Die CDU -Mehrheit im Ausschuß lehnte daraufhin ab, weitere Gutachten einzuholen und die Betriebsgenehmigung vorläufig auszusetzen.

Jürgen Keppler, Mitglied des Bundes der Bürgerinitiativen Fortsetzung Seite 2

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mittlerer Neckar, geht ebenfalls schon lange davon aus, daß das AKW auf unsicherem Boden gebaut ist.

Auf zehn Seiten begründeten er und seine Mitstreiter im Spätsommer vergangenen Jahres ihre beim Verwaltungsgericht Mannheim nachgereichte Klage, die sich gegen die letzten beiden Teilerrichtungsgenehmigungen richten. Kern der Begründung: das Atomkraftwerk stehe auf „inhomogenem Untergrund“, in dem es Hohlräume, Brüche und Verwerfungen gäbe.

Für Jürgen Keppler ist das letzte Wort um den Raktor längst nicht gesprochen. Das Genehmigungsverfahrem müsse neu aufgerollt werden, da der geologische Untergrund

bei der Planung nicht ausreichend untersucht worden sei.

Die Kläger haben bereits neue Gutachten in Auftrag gegeben: eines zur Geologie beim Karlsruher Professor Hötzel und eines zur Reaktorsicherheit beim Öko-Institut. Sie sollen demnächst vorgestellt werden.