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Wir werden uns immer an die Mauer erinnern

■ Ein Fünfminutengespräch mit Peter Sellars

taz: Ist es nicht seltsam für Sie als amerikanischer Regisseur, diese Brüsseler Produktion hier in Babelsberg für das deutsche, britische und amerikanische Fernsehen zu verfilmen?

Sellars: Es ist in der Tat sehr seltsam. Die Arbeiter hier sind so ernsthaft und interessiert bei der Sache, es hat mich richtig überwältigt. Gestern fragten sie den Produzenten, ob ich vorhätte, den ganzen Film in Großaufnahmen zu drehen - das tue ich tatsächlich - und ob man das Bühnenbild überhaupt sehen würde, an dem sie so hart gearbeitet haben. Eine amerikanische Crew würde nicht mal hingucken, geschweige denn sich interessieren.

Als Sie vor eineinhalb Jahren zum erstenmal in Berlin waren (mit „Die Elektrifizierung der Sowjetunion“ im Hebbel -Theater), sagten Sie, Sie könnten niemals hier arbeiten, weil Sie über die Leute hier nichts wissen. Sie wollten kein internationaler Regisseur werden. Und nun diese internationale Produktion.

Ich weiß, es ist schockierend. Aber die Neuigkeit, das, was wir von Berlin gelernt haben, ist doch, das wir jetzt (er zögert) global denken müssen (lacht). Wir haben keine Wahl. Alles hängt jetzt mit allem zusammen. Und wenn ich noch so sehr versuche, die Dinge amerikanisch zu lassen, sie werden etwas anderes. Zum Beispiel die Szene, in der Cleopatra mit Dollars um sich wirft. Ich sehe das jetzt hier in der DDR und frage mich plötzlich: Was ist das? Es ist unglaublich seltsam.

Umgekehrt ist die Rückwand des Defa-Studios Teil des Bühnenbilds.

Ja, diese Mauer ist wirklich wunderschön. Aber es ist das einzige Studiorequisit, das wir verwenden.

Ihre Hommage an Babelsberg?

Ja, wir werden die Mauer nie vergessen (lacht).

Natürlich muß ich immer mit etwas beginnen, das ich kenne. Aber das, was ich kenne - so hoffe ich zumindest -, bekommt dann von selbst ein größeres Blickfeld. Ich bin auch nicht mehr so sicher, ob ich immer was über mein Publikum wissen muß. Über mein erstes Publikum ja. Aber jedes spätere Publikum - wenn die Produktion auf Tournee geht - kann dann selbst sehen: Aha, einige Leute in Amerika denken zur Zeit so und so. Zumindest das können sie erkennen. Ach, das Publikum ist immer so mysteriös. Ich werde in jedem Fall jetzt mehr in Europa arbeiten, auch in Deutschland. Und in Japan (eins der nächsten Projekte Sellars ist Die Zauberflöte im britischen Glyndebourne; d.Red.).

Was ist mit Ihrem alten Projekt, „Caligari“ noch einmal zu verfilmen?

Erst mal ist es unglaublich, hier an diesem Ort zu sein, wo das Original gedreht wurde (Robert Wiene: Das Cabinett des Dr. Caligari, 1919/20). Und ich drehe tatsächlich Caligari, in diesem Sommer, allerdings in New York.

Interview: chp

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