Halbe Sachen bei den Halbhohen

Ein frühes Tor als ideale Liaison von Taktik, Wunsch und Wirklichkeit beim Kölner 2:0 gegen Antwerpen  ■  Aus Köln Bernd Müllender

Ein junger Mann mit Namen Hans-Peter Lehnhoff war vorher das große Thema. Drei Jahre hatte er beim FC als Nachfolger von Bernd Schuster im Mittelfeld mit mittlerem Erfolg die Position des blonden Engels bekleidet, dann musterte ihn sein neuer Trainer Christoph Daum Ende 1987 aus. Lehnhoff fühlte sich als verkanntes Genie, kam beim FC Antwerpen unter, hat dort nunmehr einen eigenen „Lehnhoff-Fanclub“, mit dem er nach jedem Spiel einen trinken geht, ist nach eigenem Bekunden der große Star und Bestverdiener als Mittelfeldregisseur und Torjäger in einem und meldete jetzt auch noch Ansprüche an, in des Kaisers nationalem Kader mit zu tun.

Und nun, da das Los den 1. FC Köln und den FC Royal Antwerpen im UEFA-Cup-Viertelfinale zusammengeführt habe, wolle er mithelfen, als verspätete Rache Herrn Daum „zu stürzen“.

Lehnhoffs Bemühen war jeglicher Erfolg verwehrt. Übermotiviert verhaspelte er sich in nutzlosden Soli immer wieder in seinen eigenen Beinen und leitete gleich zu Beginn mit lockerer Geste die Niederlage der Seinen ein: Als Olaf Janßen schon in der anderthalbsten Minuten linker Hand vorgeprescht war, irgendwo aus dem Umfeld der Torlinie zurückflankte, hob Lehnhoff die Hand zum Zeichen der Regelverletzung durch Aus, seine belgischen Kumpels reagierten durch Nichtstun und Pierre Littbarski traf unbedrängt ins Kästlein. Was dem Konzept der Kölner gut tat und den Thron des Däumlings festigte.

„Erfolgreichen und attraktiven Fußball zu spielen“, dozierte der maulfertige Trainer D. nach dem Spiel, „das ist gar nicht so einfach.“ Eine durchaus kluge Binsenweisheit, denn wenn das berühmte frühe Tor jeweils kurz nach dem Anstoß fällt, gilt dies unter Fußballfachleuten gemeinhin als ideale Liaison von Taktik, Wunsch und Wirklichkeit. Der Attraktivität indes, ihr schadet es gewaltig.

Fünf Minuten nach der Pause hatte Anders Giske eine Ecke des Krummbeins Litti auf der Torlinie stehend zum 2:0 über dieselbe geköpfelt. Der Rest, jeweils in beiden Halbzeiten, waren halbe Sachen gewesen, immer wieder mal ganz nett betrachtenswertes, aber nichts wahrhaft bewegendes. Immer wieder mal hatte Köln einige famose Szenen, die den Leerlauf unterbrachen. Das Minimalziel jeweils eines Tores aber hatte man ja erreicht, und immer lauert ja die Angst vor diesen heimtückischen heimischen Gegentoren, die laut Cup -Mathematik manchmal doppelt zählen können.

Die königlichen Belgier wirkten ähnlich unentschlossen zwischen Mut und Vorsicht, und so schufen sie mit diversen Flanken, Ecken und Schüssen gelegentliche zwar heillose Verwirrung im unsicheren Kölner Hinterteil, vermochten Torwart Illgner mit ihren Halbchancen jedoch kaum zum Steinvergleich zu zwingen.

Das Aufregendste passierte noch zehn Minuten vor der Pause: Zwei Fans (belgische Souvenirsammler?) rissen den Kölner Dom ab; zwar nicht den Hl. Katholentempel selbst, sondern nur eine große Werbetafel mit dem Schriftzuug der gleichnamigen Kölsch-Brauerei - aber diese frivole Tat beantworteten der FC-Brüll-Pröll in der Kurve („Sieg Heil“) mit einer Kaskade von Leuchtraketen, was die mit 80 Sonderbussen angereisten Diamantenstädter aus dem Frittenland sofort zu blockübergreifenden Handgreiflichkeiten verleitete, was wiederum jene wunderbar pittoreske Sammlung schräger GesellInnen des „Luchs Wachdienstes“, eine verschlafene Kölsche Version schwarzer Sheriffs in wichtigen blauen Uniformen, tatenlos beschaute und die Anzeigetafel zu einem halbherzig ermahnenden „Geen Vuurwerftigen schiiten“ provozierte.

Wer weiß, zu welchen Taten sich die beteiligten Gruppen noch angestachelt hätten, wäre nicht Littbarski in diesen Sekunden einen Kunstschuß an den Pfosten gezwirbelt, der die allgemeine Aufmerksamkeit wieder Richtung Rasen richten ließ.

Es waren die halbhohen Akteure, die die Akzente setzten. Littbarski, dessen Beinwerkzeuge sich immer besorgniserregender zum Kreis zu krümmen scheinen und ihn als Ganzes immer mehr verkürzen, tanzte bühnenreif und wurde nur durch Dribbelgnom Thomas Häßler übertroffen, der schier unglaubliche Soli zauberte, indes manchmal die Eckfahne als letzten ernstzunehmenden Gegner anzusteuern schien.

Nachher taumelte er auch in einen hübschen Sprachslalom: Die Abwehr, insbesondere Ersatzlibero Gielchen, sei „relativ sehr gut“ gewesen. Was seinen wie stets von den eigenen Mannen begeisterten Trainer mit dem Satz kontern ließ: Seine vorgeblich „homogene Mannschaft mit spielerischen Glanzpunkten“ sei in einer „sehr guten Verfassung, aber nicht in der besten“. Und da eine Europacup -Auseinandersetzung - alte Weisheiten zählen nicht mehr bekanntlich nicht 90 Minuten dauert, sei eben „erst die erste Halbzeit gespielt“.

Und zu Hans-Peter Lehnhoff habe der große Herr Däumling natürlich auch noch was zu sagen, aber erst nach dem Rückspiel. Kleiner Vorgeschmack?: „Eine Unverschämtheit, was der junge Bursche sich einbildet.“ Das läßt, wo zum Freund Jupp Heynckes schon nichts mehr einfällt, einiges erhoffen für die zweite Hälfte.

KÖLN: Illgner - Gielchen -, Giske - Häßler, Higl, Janßen (77. Jensen), Greiner, Littbarski, Görtz - Sturm (73. Götz), Rudy

ANTWERPEN: Svilar - Emmerechts - Kiekens, Smidts - Curcic, Van Rooy, Veirdeghem, Lehnhoff, Geilenkirchen, Schrooten Claesen (66. Czerniatynski)

Zuschauer: 26.000

Tore: 1:0 Littbarski (2.), 2:0 Giske (52.)