Wie nun weg mit dem Dreck?

■ Die Sicherheitsprobleme beim Abtransport der US-Chemiewaffen werden weiter geheimgehalten

Eigentlich müßte sich die Friedensbewegung freuen: Bis zum Herbst, so hat Verteidigungsminister Stoltenberg mitgeteilt, sollen die rund 4.000 Tonnen US-amerikanisches Giftgas aus der Pfalz abgezogen werden. Doch statt Jubel gibt es dort neues Mißtrauen. Man verweist auf die USA, wo Studien ergeben haben, daß dort alte Giftgasbehälter überhaupt nicht ohne Katastrophengefahr abtransportiert werden können, und fordert Offenlegung aller Gutachten.

Wenn es um den Abzug der amerikanischen Chemiewaffen aus der Bundesrepublik geht, kennt der rheinland-pfälzische Innenminister Rudi Geil (CDU) keine Parteien mehr. Im südpfälzischen Clausen, dem europaweit angeblich einzigen Lagerort des Giftgases, fordert er „alle Demokraten“ zum Zusammenrücken auf und warnt in dramatischem Ton vor allzuviel Kritik an den Abzugsplänen für die C-Waffen. Der extra aus Bonn angereiste Verteidigungsstaatssekretär Holger Pfahls (CDU) bezieht gar neben „allen Deutschen vom linken bis zum rechten Spektrum“ gleich auch noch die RAF in die „große Koalition der Vernunft“ ein: „Ich glaube nicht, daß die was machen.“

Rund 700 Clausener Anwohner sind am Mittwoch abend zur republikweit einzigen Informationsveranstaltung zum C -Waffenabzug gekommen. Doch was als „einer der größten Erfolge der Regierung Kohl“ zum Wahlkampfschlager hochstilisiert werden sollte, erleidet an der Basis Schiffbruch. Als Minister Geil pathetisch erklärt: „Wir werden die Pfalz bis zum Herbst von den Chemiewaffen befreit haben“, empfängt ihn anstelle des erwarteten Jubels betretenes Schweigen. Dann spricht einer aus, was viele hier denken: „Wir glauben Ihnen kein einziges Wort mehr!“

Der Schock sitzt noch tief bei den Clausener BürgerInnen. Erst am Vormittag haben sie definitiv erfahren, daß sie direkt neben dem Lager wohnen, nach dem Friedensbewegung und Kommunalpolitiker seit Jahren fahnden. Dort im Wald, kurz hinter den Ortsausgang, lagern im vergleichsweise kleinen Munitionsdepot genügend Chemiewaffen, um ganz Europa in wenigen Minuten qualvoll verrecken zu lassen.

Jetzt macht sich in der Südpfalz eine Stimmung breit, die an die Erstürmung der Stasi-Zentralen in der DDR erinnert. „Wir wollen reingehen und selbst nachsehen“, fordern die BürgerInnen, „Wir sind das Volk“, tönt es aus dem Saal, und von den Militärs auf dem Podium will man endlich wissen, was in den anderen Standorten und vor allem im lange als C -Waffendepot gehandelten Fischbach lagert.

Auch mit Clausen ist schließlich kein neues Kapitel der Offenheit aufgeschlagen worden: „Bestätigt wird nur, was ohnehin lange durchgesickert ist“, meint ein Vertreter der Friedenskoordination.

Daß es entgegen den Beteuerungen, es gebe beim Abtransport der C-Waffen eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen deutschen und amerikanischen Stellen, schon jetzt massive Probleme, besonders mit der US-Airforce gegeben hat, wird am Rande der Veranstaltung bestätigt. Selbst Geil zeigte sich ungehalten darüber, wie die Amerikaner der Bevölkerung seine ministerielle Machtlosigkeit vorführen: Ausgerechnet am Tag der Bekanntgabe des Lagerungsortes donnerten Tiefflieger über das Munitionslager Clausen, das nach Angaben von Rüstungsgegnern nicht gegen Flugzeugabstürze gehärtet ist.

„Nachträglich kalte Schauer“ treibt einer Teilnehmerin der Informationsveranstaltung der Absturz von insgesamt drei US -Militärmaschinen in der nächsten Umgebung Clausens in den letzten Jahren über den Rücken. „Da bin ich auf Ihrer Seite, das muß aufhören“, klinkt der Minister sich ein. Doch warum haben er und die interministerielle Arbeitsgruppe, die seit drei Jahren den Abzug aus Clausen vorbereitet, die Überflüge nicht längst gestoppt? Mit „Geheimschutzgründen“ begründet ein Militär die mangelnde Vorsorge: „Bei einem Überflugverbot hätte doch jeder gefragt, was da wohl Gefährliches liegt.“

Jetzt weiß zwar jeder, welch gefährliches Zeug da liegt aber die Details des geplanten Abtransportes werden weiter geheimgehalten. Die lokale Arbeitsgemeinschaft „Giftgas auf der Schiene“ will deshalb als nächstes ihr (gleichnamiges) Informationshandbuch neu auflegen und entlang der möglichen Transportstrecken an Interessierte verteilen. Sie fordert jetzt, so AG-Mitglied Beate Hillelsheim zur taz, daß die Behörden „alles offenlegen, was die Bevölkerung betrifft, statt immer noch um den heißen Brei herumzureden. Vor allem will man die Gutachten selber einsehen - „wie das schon die US-Bürger bei sich durchgesetzt haben“.

Thomas Krummenacker/mr