Graf Lambsdorff schmäht Modrow als Volksverräter

Bundestag führt DDR-Wahlkampf / In der Debatte zur polnischen Westgrenze zeigt die CDU/CSU Widerstand gegen Zwangsarbeiterentschädigung / Liberale zögerlich, SPD vehementer als bisher  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

DDR-Wahlkampf gestern im Bundestag: „Modrow hat mit diesem Brief sein Land und seine Landsleute schmählich verraten“, befand FDP-Chef Lambsdorff am Donnerstag nachmittag in der Debatte des Bundestages zum Nachtragshaushalt. Es war der Höhepunkt einer Schlammschlacht, in der auch CDU- und CSU -Redner den DDR-Ministerpräsidenten hart angingen. Grund der publikumswirksamen Aufregung: Modrow hatte den sowjetischen Staats- und Parteichef Gorbatschow schriftlich gebeten, daß dieser bei einer Wiedervereinigung für die Sicherung der Eigentumsverhältnisse in der DDR eintreten solle. (Zu der Debatte siehe ausführlich Seite 4)

Vorgeführt wurde von der Regierungskoalition in der Debatte am Vormittag außerdem ihre immer noch mehrdeutige Haltung zur Endgültigkeit der polnischen Westgrenze. Zugespitzt hat sich am Donnerstag überdies der Streit der Bundestagsparteien über die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter.

Nach dem nun verabschiedeten Entschließungsantrag der Regierungskoalition sollen zwar nach der DDR-Wahl nicht mehr nur beide deutschen Parlamente, sondern auch beide Regierungen eine Erklärung zur polnischen Westgrenze abgeben. Allerdings werden in dem Entschließungsantrag auch der Verzicht Polens auf Reparationszahlungen und der Schutz der deutschen Minderheit festgehalten - sprich: mit der Anerkennung der Grenze in Zusammenhang gebracht. Außerdem dokumentiert er, daß sich die FDP mit ihrem Wunsch nach einer Paraphierung eines Grenzvertrages zwischen DDR, BRD und Polen nicht durchsetzen konnte. Gewohnt zweideutig blieb Helmut Kohl in der Debatte: „Wir stehen zu Geist und Buchstaben des Warschauer Vertrages„; aber: „Wir kommen nicht umhin, auch andere Fragen des deutsch-polnischen Verhältnisses zu klären.“ Drei Unionspolitiker aus dem Lager der Vertriebenen haben dazu noch ihre Bedenken gegen das Dokument im Bundestag zu Protokoll gegeben.

Harsche Kritik für seine jüngsten Kapriolen in der Grenzfrage übte die Opposition am Kanzler: Als „Faktor des politischen Risikos“ bezeichnete ihn Hans-Jochen Vogel. Dabei bezog er sich auf das am vergangenen Freitag verkündete Junktim zwischen dem Verzicht Polens auf Reparationen und dem Schutz der dort lebenden deutschen Minderheit mit der endgültigen Anerkennung der Grenze. Noch kein Kanzler vor Kohl, so der SPD-Chef, habe die im Grundgesetz festgelegte Pflicht, das Wohl der Deutschen zu mehren, in einer solchen Art verletzt. „In kurzsichtiger Weise gefährdet“ sieht der grüne Abgeordnete Helmut Lippelt die deutsch-polnischen Versöhnungsmöglichkeiten.

In ihrem - von CDU/CSU, FDP abgelehnten und von den Grünen angenommenen - Antrag zur Garantie der polnischen Westgrenze verurteilen die Sozialdemokraten, daß der Regierungsantrag einen Zusammenhang zwischen Grenz- und Reparationsfrage herstellt. Der - ebenfalls abgeschmetterte - Antrag der Grünen fordert außerdem einen Grenzvertrag zwischen BRD, DDR und Polen und die Einrichtung einer Stiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeitern.

Zwangsarbeiter auf keinen Fall entschädigen möchte die CDU/CSU, Zwangsarbeiter auf jeden Fall entschädigen möchten SPD und Grüne, Zwangsarbeiter vielleicht entschädigen, wahrscheinlich aber eher nicht, möchten die Liberalen - auch dieser Streit spitzte sich gestern in Bonn weiter zu. Erneut setzte Helmut Kohl fälschlich Zwangsarbeiter Fortsetzung auf Seite 2

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entschädigung und Reparationen gleich. Es müsse klar sein, daß Polen auch keine Zwangsarbeiterentschädigung mehr wolle, befand CSU-Landesgruppenchef Wolfgang Bötsch. Die FDP äußerte sich zu dieser Frage gestern überhaupt nicht. Sowohl FDP-Chef Lambsdorff als auch Außenminister Genscher hatten in den letzten Tagen klargemacht, daß für sie die Entschädigung von Zwangsarbeitern nicht unter den Begriff Reparationen falle. Nur auf Reparationen (für Kriegsschäden) aber hätten die Polen 1953 verzichtet.

„Zögerlich“, so beschrieben die Grüne Antje Vollmer und die SPD-Abgeordnete Renate Schmidt in einer gemeinsamen Pressekonferenz

die Haltung der Liberalen zu einer von Grünen und SPD geforderten Bundesstiftung für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter. Erstmals kämpferisch stritt in der gestrigen Bundestagsdebatte außer Antje Vollmer auch die SPD für die Zwangsarbeiterentschädigung: „Der von Helmut Kohl angerichtete Schaden im Verhältnis zu Polen kann nur durch die weiteergehende Maßnahme einer Stiftung ausgeräumt werden“, so Herta Däubler-Gmelin.