BRD-Brauereien haben Leipzigs City im Griff

Auf dem Messegelände noch wenig vom Kapitalismus zu spüren  ■  Aus Leipzig Dietmar Bartz

Aus den Fußgängerzonen verdrängt sind die vielen kleinen Schmuddelunternehmen aus Westdeutschland noch nicht. Sie sind nach wie vor bemüht, billige Textilien und obskuren Kosmetika aus Fernost in der Messestadt loszuschlagen. Aber die besten Plätze Leipzigs sind innerhalb von Tagen, Alphabet hinunter und wieder hinauf, an die Bierbrauer gegangen: Astra, Becks, Clausthaler, Diebels oder Eku setzen die Leipziger unter Gerstensaft, als sei in der DDR nie gutes Bier gebraut worden. Die Plätze in der Innenstadt, historisch das eigentliche Zentrum des Messegeschehens, sind wieder zugebaut, diesmal aber nicht mit den alten „Meßbuden“. Saufstände, Vergnügungszelte, Pommesbuden, eine riesige aufgeblasene Plaste-Chiquita und Verkaufsstationen der Cola-Produzenten in überdimensionale Getränkedosen gekleidet - dergleichen Schnickschnack dominiert 1990 die Leipziger City.

Auf dem Messegelände wird die Sache derweil ernst. Zum ersten Mal müssen sich alle DDR-AusstellerInnen am Weltmarkt -Niveau messen lassen und können der frisch ins Haus stehenden Konkurrenz nicht mehr ausweichen. Ohnehin werden zahlreiche der großen Kombinate das letzte Mal in Leipzig sein, zeigt sich der Chef des DDR-Unternehmerverbandes Stadermann nicht unfroh. Eine ganze Reihe von Konglomeraten steht vor der Zerlegung, und das schafft Platz für den neuen DDR-Mittelstand, der bisher auf der Messe noch unberücksichtigt ist. „Der Anteil der privaten DDR-Firmen wird im nächsten Jahr von nahezu Null sprunghaft steigen.“

Das wird nicht die einzige Veränderung sein. Messen und Stände werden über Monate und Jahre geplant, und so ist vom Einzug des Kapitalismus zwar überall die Rede, aber noch kaum etwas zu sehen - die Leipziger Innenstadt ausgenommen. Die Zeiten sind vorbei, in denen jede Westfirma, die mit der DDR Geschäfte machen wollte, unabdingbar in Leipzig präsent sein mußte.

Jetzt können die bundesdeutschen Konzerne ihre Kontakte direkt, ohne Rücksicht auf das Ansehen des Messeplatzes knüpfen, der in diesem Jahr seinen 825. Geburtstag feiert. Noch mag allerdings niemand so recht zugeben, daß das neue Ziel, Leipzig wieder zu einer Verkaufsmesse zu machen, für manche Großaussteller das Zeichen zum Rückzug werden kann.

Zugleich droht auch der Wettbewerb der Industrie-Messe in Hannover, die zum härtesten Konkurrenten der sächsischen Industrie-Schau werden wird. Und der Chef des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Tyll Necker, moniert bereits, daß der Dienstleistungssektor viel zu gering in Leipzig vertreten sei.

Auf solche Kritik hat Messe-Generaldirektor Siegfried Fischer gleich zum Auftakt der Schau mit einem neuen Konzept oder doch wenigstens neuen Vorstellungen reagiert. Leipzig soll zwar eine Mehrbranchen-Messe bleiben, die etwa in diesen Jahr vom Schwermaschinenbau über die Elektronik bis hin zu Pelzbekleidung, Freizeitausrüstung, Bürobedarf und Schmuck reicht. Einzelne Bereiche sollen aber dennoch ausgegliedert werden und zu anderen Terminen stattfinden.

Das Interesse, in letzter Minute noch einen Stand zu bekommen, war riesig - so haben einerseits die DDR -AusstellerInnen zusammenrücken, andererseits auch Abteilungen der Messe-Verwaltung ihre Büros gleich ganz räumen müssen. Noch ist der Platzmangel darauf zurückzuführen, daß vor allem West-Unternehmer in Ostkontakt kommen wollen.

Zu vermuten steht, daß der Rummel den LeipzigerInnen erhalten bleibt: Im kommenden Jahr wird die Suche nach Kundschaft für die Produkte aus den DDR-Fabriken vielleicht zur Überlebensfrage.