Himmelstosen

■ Das „Camerata Quartett“ in der Glocke

Meine Nachbarin zur Linken (Typ: würdige Mittelsechzigerin, abonnementverdächtig) meinte, daß das Streichquartett d-moll op. 76,2 von Joseph Haydn ein wenig zu herb im Ton geraten sei. In aller Schlichtheit eine zutreffende Bemerkung.

Schönklang?

Es fiel in der Tat auf, wie wenig sich das Camerata -Quartett aus Warschau abschnittweise um die Kultivierung des „schönen Tones“ bekümmerte: im Gegensatz zu meiner Nachbarin empfand ich es hingegen als wohltuend, da jenes streicherische Himmelsgesäusel der meisten Streichquartette einem bisweilen mächtig die Nerven strapazieren kann. Über die Interpretation zu sprechen ist allerdings überflüssig, als die notwendigen aufführungspraktischen Bedingungen für eine gültige Reproduktion dieses Werkes aus dem 18. Jahrhundert nicht erfüllt waren.

Die eigentlichen Stärken der Vierer-Formation (Wlodimiers Prominski, viol.; Andrzej Kordykiewicz, viol.; Piotr Reichert, Viola; Roman Hoffman, Violonc.) enthüllten erst die folgenden beiden Kompositionen.

Karol Szymanowskis zweites Streichquartett op. 56, entstanden 1927, weist in allen drei Sät

zen - ähnlich Bartok - einen Rückgriff auf die osteuropäische Volksmusik auf, deren Duktus den gesamten Klangeindruck entscheidend prägt. Bei dieser Musik ihres Landsmannes waren die Warschauer sichtlich in ihrem Element: gehauchte lyrische Passagen trieben immer wieder expressiven Höhepunkten zu, die stellenweise extrem brutal ausgespielt wurden.

Ekstase?

Und als Bonbon holte dann auch noch die Wirklichkeit das Klischee ein: in einem besonders heftigen Augenblick zersprang dem Bratschisten eine Saite - beinahe wie damals, bei Paganini. Beim Penderecki-Quartett (1968) - zweite, mehr linear orientierte Periode, aber der hat es ja sowieso mit den Clustern (meine Nachbarin zur Linken) - wurde der musikalische Eindruck stark vom Publikum gestört, kaum eine Gelegenheit blieb ungenutzt zum Husten, Füßescharren oder Rascheln.

Trotzdem demonstrierte das Camerata-Quartett durch eine sehr differenzierte Interpretation, daß seine spielerischen Qualitäten sich am ehesten bei neuer Musik entfalten. Den Abschluß bildete ein mager wirkendes Dvorak-Quartett.

H. Schmidt