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SÜNDIGES SCHMIERIGES TIER

■ White-trash-Party mit den Cramps im Metropol

Ende der siebziger Jahre brachen aus dem allgemeinen Klanggeschrammel einzigartige Töne hervor, ein aufs primitivste reduzierter Rhythm'n'Blues/Rock'n'Roll. Das Schlagzeug schepperte so vor sich hin, darüber schleppte sich eine Gitarre durch ein Gemisch aus Baßlauf & Melodie & eine stöhnende, kreischende, seufzende, sich heulend überschlagende Stimme versank dazu irgendwo im Hall. Das war nicht der gewohnte Punk, schnell, 1, 2, 3!, viel eher aggressiv-psychedelisch & extrem sinnlich, träge. Der Sound schien der schwülen, stickigen Hitze eines in der Sonne modernden Sumpfes zu entstammen. Visionen von degenerierten Südstaaten-hillbillies, die nach exzessivem Mißbrauch von acid ihren Psychosen musikalisch Ausdruck verliehen, tauchten im Hirn auf. Die Texte erzählten von einer seltsamen Welt, wie sie nur aus billigsten Science-fiction & Horrorfilmen bekannt war: Menschen mutierten zu monströsen Ungeheuern, wahnsinnige Killer bevölkerten die Städte, Ausgestoßene foderten kreischend ihr Recht ein, pervers & böse zu sein.

Das war Musik, um, von zuviel Mescal betrunken, in einer Kneipe zu stranden, die ursprünglich in den erfrischend optimistischen schwungvollen Formen & warmen Pastelltönen der Fünfziger gestaltet worden war, deren von blinkendem Neon eingefaßte Musicbox noch immer die blutwarmen schwarzen Soul-Platten spielte, in der auch immer noch die von Farbe triefenden Filmplakate & Poster von schalenförmigen BHs tragenden Pin-up-Girls hingen, die aber inzwischen vollkommen verdreckt & verkommen war, wo sich nur mehr der white scum traf, der weiße Abschaum arbeitsloser Jugendlicher, Kleinkrimineller & vor sich hin dampfender Junkies & Mädchen, Mädchen in aufreizend billigen engen Kleidern, wasserstoffblond & kreischend...

Dort konnte wohl aus dem über die Toilette schwemmenden grünen Schleim ein Kanalisationsmonster werden, besonders, wenn LSD im Spiel war. The Cramps hieß die Truppe, die dazu den Soundtrack lieferte. Einige Jahre später entstanden überall Rockabilly- & Psychobilly-Bands, doch keine von denen besaß diesen kaputten, kultmäßigen Charme der Klauen, sie blieben einzigartig in ihrer Besessenheit & furiosen Umsetzung von billigsten, grellsten Alltagsmythen der amerikanischen 50er-Jahre-Bewußtseinsindustrie.

The Cramps also nach Jahren wieder einmal in Berlin & die verschiedensten white scum-Fraktionen von heute (immerhin in der Lage, 38,- DM Eintritt zu zahlen) kamen zuhauf. Zwar sah ich keinen Kettensägen schwingenden Fettsack, niemanden, dem Drogenselbstversuche eine irre Fratze ins Gesicht gefräst hatten, & nur wenige fröhliche Haudrauf-Prolls inmitten von Bergen mitgebrachter Six-packs, nirgendwo erblickte ich männermordende Frauengangs in Straps & Maschinenpistole, doch allgemein war der gute Wille zu spüren, verrucht & aggressiv zu wirken.

Drinnen ballte man sich eher indifferent gegeneinander & harrte lange, lange, lange der Erscheinung. Und also offenbarte sie sich: Ganz hinten am Drum-kit Nick Knox, langjähriger Mitstreiter, sah aus wie ein übler Drogenpusher aus einem schrillen 70er-exploitation-Film (wahrscheinlich zudem Mädchen aus wohlbehüteten Heimen an grausame Söldner verkaufend). Ungerührt während des ganzen Konzerts grinsend, schlug er ohne jede überflüssige Bewegung seine Stöckchen mal auf Snare, mal auf Becken. Trocken, sehr trocken.

Vorne links am ewig umbesetzten Aushilfsbass: Candy del Mar; üppig schwellende Formen in schwarzem Lack & Leder, sie hielt sich, wie zu erwarten, zurück, mahlte auf ihrem Kaugummmi herum & erinnerte ansonsten an eine träge fleischfressende Pflanze aus irgendeinem verrufenen südlichen Sumpfgebiet. Weich, weich & auf Valium.

Vorne rechts Poison Ivy an der halbakustischen Klampfe, benetzstrumpft & in, mit goldenen Pailetten besetztem Mini & BH gekleidet, in der wallenden roten Mähne ein zierliches Diadem. Grellster B-Film-Fummel, große Klasse, die alptraumhafte Versuchung jedes Country-&-Western-Fans. Sie schaffte sich mächtig an der Gitarre, rollte mit den Hüften, twistete sich auch mal breitbeinig in die Knie. Wie bei leicht schmerzhaften sexuellen Stimulierungen verzerrten sich die Lippen, wenn sie sich an eins der begnadet primitiven Soli machte. Hauptsächlich aber blickte sie expressiv desinteressiert ins Publikum. Heroin, Heroin in einem heißen, staubigen Imbiß an irgendeinem staubigen Wüsten-Highway.

Vorne, im Zentrum, ihr Ehegespons Lux Interior („Wie haben Sie sich kennengelernt?“ „Nun, Poison Ivy war 14 & trampte durch die Wüste. Lux gabelte sie da auf. Ja & dann heirateten sie.“). Sämtliche zu vergebenden Punkte wg. Bekleidung für seine ultimative Interpretation von wet -wear.

In engster Lackhose, eingerissener Billig-Lackjacke & -schwarzen Pumps, geriet er schon nach kurzer Zeit gut ins Schwitzen, Feuchtigkeit perlte wie schmierig-glänzender Film über die Kleidung, später dampfte er buchstäblich kleine Wölkchen. Wild rollten die Augen, wild raufte er sich das Haar, wild machte er mit Mikrofon & Ständer herum. Es hatte etwas von einer Trash-Version katholischer Katharsis: „Sünde brennt in mir, verbrennt mich! Ja, ich bin ein schmieriges Tier, ein Hund, der sich in billigen Vergnügungen suhlt! & davon will ich mehr! Mehr! Viel mehr!“ Den Hund kann er wie kein anderer; er jault & heult, krümmt sich unter den treibenden Dämonen - & verschwendet sich bis zum Letzten.

Das Publikum ging schön mit, die Menge wogte, die heißen, schweißnassen Leiber aneinandergepreßt, gelegentlich überschwemmte der Modergeruch lang geschlossener Grüfte die vorherrschende Mischung billigen Rasierwassers & billigen Parfüms, ein unförmiger Körper in verwaschener Kleidung wurde freundlich über die Köpfe hinweg weitergereicht, bis er dann hinabtauchte, unterging im entfesselten Taumel des „Wir sind schlecht, wir haben Spaß daran!“ Die Cramps sind älter geworden, ihre Stücke langsamer & die neuen schlechter. Das Publikum ist zahmer geworden; zwar wurde anfangs Ordner „Killer“ herbeigeordert, doch machte man dem andrängenden Pulk Jungs schnell & deutlich klar, wo die Grenzen einer duften Party sind. Keine Schlägerei, kein Plastikbechergewerfe, mensch hopste miteinander bei sich selbst.

Derweil geriet Lux Interior auf der Bühne in anregende Raserei. Bald schon hatte er das Jäckchen abgelegt, Grimassen fegten in schnellem Wechsel über das Gesicht, wohl in ohnmächtiger Wut, nichts Verdammteres tun zu können, schmierte er sich lustvoll & sardonisch grinsend den üblichen Bühnenmatsch auf die Brust, wälzte sich auf dem Boden hin & her, kreischte, versuchte den eigenen Schweiß aus den Pumps zu trinken. Blutrote Lichter pulsierten träge, tauchten die Cramps in die B-Version von Fegefeuer & Billig -Puff-Licht.

Zum Abschluß entledigte sich Lux auch seiner Hose, stand in Pumps & mit einem roten Herzchen bestickten G-String auf der Bühne, ließ sich von den Wellen anbrandender Begeisterung umspielen, & hinein ging's ins letzte Stück. Als Rockmusiker peitschte er dann nicht seine Frau, sondern den Bühnenmonitor, kletterte auf die Boxentürme & versuchte dort eine artfremde Begattung der Soundmaschine. Verzweifelt wollte er aus sich heraus, ging daran, die Akustikanlage auseinanderzunehmen, noch immer dreck- & schweißverschmiert zuckte er in G-String & Pumps über die Bühne, zerschmetterte dann das Mikro & steckte sich, in Ermangelung anderer Ideen, das Mikrofonkabel in den Mund. Ein schönes Bild. Die Arme dem Publikum entgegengestreckt, getragen vom wummernden Sound, fehlten nur noch kleine elektrische Entladungen, kleine blaue Flämmchen, die den nackten Körper entlangliefen & Lux Interior wäre verdienstvoll als maniac ins Walhalla des trash eingegangen.

R. Stoert.

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