: Ein Mann, der sich in die Welt vereinsamter Kinder einfühlte
Der 86jährige Psychotherapeut Bruno Bettelheim, der autistischen Kindern den Weg ins Leben bahnte, nahm sich in einem amerikanischen Altenheim das Leben ■ N A C H R U F
Der berühmte Kinderpsychotherapeut Bruno Bettelheim, geboren 1903 in Wien, ist gestorben. Sein Lebenswerk ist die Orthogenic School in Chikago, wo er nicht therapierbaren, autistischen Kindern den Weg ins Leben gebahnt hat. Diese Klinik gilt heute als Vorbild für engagierte Kinderpsychiater. Kaum einer hat sich wie Bettelheim in die Welt des vereinsamten Kindes eingefühlt. Als Psychoanalytiker stand er in der Tradition Freuds. So konnte er, was er mit den Kindern erlebte, in Begriffe fassen und therapeutisch im Handeln mit den Kindern und dem Team der Klinik nutzbar machen.
Sein enormes therapeutisches Engagement erklärte er auch aus seiner Lebensgeschichte. Als Jude war er im KZ, ehe er 1939 dank der Hilfe Eleanor Roosevelts, der Frau des damaligen US-Präsidenten, in die USA emigrieren konnte. In den letzten Jahrzehnten hat sich Bettelheim immer wieder Gedanken über den einzelnen in der extrem traumatischen, lebensbedrohlichen Situation des Konzentrationslagers gemacht. Vor allem hat er seine Beobachtungsgabe darauf gerichtet, unter welchen psychischen Bedingungen der Mensch überleben kann.
Bei seinen Vortragsreisen durch Europa in den letzten Jahren konnte man spüren, wie wichtig es Bettelheim war, seine Erfahrungen gerade Eltern und Lehrern weiterzuvermitteln.
Dabei sagte er nicht nur Dinge, die einem fortschrittlichen Lehrer heute geläufig sind. Geprägt von seiner Lebenserfahrung im KZ und mit fast leblosen Kindern fand er Worte, seinen Zuhörern nahezubringen, daß Bemühungen auch an Institutionen und gesellschaftlichen Bedingungen scheitern können. Diesen Konflikt konnte er genau definieren: Wenn z.B. ein Lehrer mit seiner Institution nicht mehr identifiziert ist, wird seine Arbeit unmöglich. Er muß sich trennen, auch als Beamter kündigen. Denn wenn man sich selbst nicht ganz ernst und wichtig nimmt, kann man ein Kind nicht in ein eigenbestimmtes Leben führen. In solchen Momenten wurde seine begeisterte Zuhörerschaft nachdenklich, man wußte nur zu gut, wovon er sprach.
Ob diese Haltung ihn auch zum Freitod nach einem Schlaganfall führte?
Heribert Knott
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen