Rebmanns Nachfolger: Ein Herr von Stahl

Mit Alexander von Stahl wird ein porentiefer Sicherheitsstratege neuer Generalbundesanwalt / Als Staatssekretär im Westberliner Justizsenat überlebte er fünf Senatoren verschiedener Couleur und stellte den Strafvollzug ruhig  ■  Vera Gaserow/Plutonia Plarre

Berlin (taz) - Sein Name paßt nicht nur zu seiner Person. Seit gestern steht er auch für sein neues Amt. Alexander von Stahl, einst wohl der jüngste, später dann der dienstälteste Staatssekretär im Westberliner Justizsenat, wird neuer Generalbundesanwalt. Mit der Ernennung des 51jährigen hat die Bonner Regierungskoalition einen harten, überzeugten Sicherheitsstrategen zum Chefankläger der Republik gekürt. Privat gilt der neue Mann, der seinen Wein gern in den Schicki-Kneipen der Berliner Künstlerszene trinkt, als ganz umgänglich. Dienstlich aber ist er so unerbittlich, daß es einige Parlamentarier fröstelte, wenn der maßbeanzugte Staatssekretär mit dem akkuraten Scheitel das Wort ergriff was zum Glück nicht sehr häufig geschah. Daß von Stahl jetzt zum Generalbundesanwalt avanciert, hat viele überrascht. Er ist alles andere als ein begnadeter Jurist und seine Berufserfahrungen als Staatsanwalt sind gleich Null. Sein neues Amt hat er deshalb wohl eher dem Personalvakuum derjenigen Partei zu verdanken, die den Generalbundesanwalt nach Bonner Proporz nominieren durfte, der FDP.

In dieser seiner Partei hat von Stahl zwar nie eine sonderliche Rolle gespielt und in ihr Selbstverständnis paßt der porentief Konservative auch nur mit Ach und Krach noch hinein. Aber die Parteizugehörigkeit war es, die den damals 35jährigen in die hohe Politik holte. 1975 hievte der Westberliner Justizsenator Oxfort seinen Freund vom äußersten rechten Rand der FDP auf den Posten eines Staatssekretärs. Und dort saß Alexander von Stahl, bis ihm vor einem Jahr die rot-grüne Koalition den Stuhl wegzog.

Vierzehn Jahre lang hatte der Pragmatiker von Stahl zuvor als graue Eminenz im Justizsenat residiert. Fünf Senatoren unterschiedlicher politischer Couleur mußten über spektakuläre Ausbruchaktionen von politischen Gefangenen, Skandale oder Regierungsumbildungen ihren Hut nehmen. Der Herr Staatssekretär mit dem Adelstitel überlebte sie alle. Er war es, der im Westberliner Strafvollzug und in der Justizverwaltung die Fäden in der Hand hielt und damit mehr noch als seine jeweiligen Dienstherren zum Feindbild von Knastgruppen, Menschenrechtsorganisationen und reformfreudigen Sozialarbeitern wurde. Als Ende der 70er Jahre der liberale Justizsenator Baumann den Resozialisierungsgedanken im Strafvollzug stärkte, schaffte es von Stahl mit geschickter Personalpolitik viele der gerade neue eingestellten Sozialarbeiter wieder hinauszuekeln. Unter seiner dezenten Regie wurde West-Berlin 1980 das erste Bundesland, das seinen für 6,5 Millionen Mark gebauten Hochsicherheitstrakt mit politischen Gefangenen belegte. Den Hochsicherheitstrakt mit seinen fensterlosen, videoüberwachten und elektronisch abgehörten Räumen verteidigte von Stahl auch dann noch, als viele seiner Parteigenossen diesen Bunkervollzug längst als „zutiefst inhuman“ verdammten. Von Stahl meinte weiterhin, den Gefangenen stünde es ja frei, dort inhaftiert zu sein. Wenn sie wieder rauswollten, bräuchten sie sich ja nur vom Terrorismus loszusagen.

Sensibilität für soziale Probleme sind dem 51jährigen Juristen und Hobbysegler abhold. Daß jeder gesellschaftliche Konflikt allein mit der Staatsgewalt gelöst werden kann und muß, ist tief in seinem Denken verankert. Als 1981 politische Gefangene in einen unbefristeten Hungerstreik traten, schlug von Stahl die juristische Entmündigung der Hungerstreikenden vor, damit man sie ungehindert füttern könnte. Der Konflikt um Zwangsernährung und Hungerstreik war einer der wenigen Punkte, an dem die graue Eminenz einmal ins Licht gezerrt wurde.

Als sich in West-Berlin 1982 verschiedene Ärzte weigerten, Hungerstreikende Gefangene zwangsweise zu ernähren, war unter ihnen auch der damalige Leiter des Westberliner Justizvollzugskrankenhauses Volker Leschhorn, ein allseits anerkannter Internist. Dank Leschhorns Engagement und vermittelnden Gesprächen mit den Gefangenen endete der Hungerstreik in Berlin ohne Tote. Als „Dank“ für sein Engagement wurde der Gefängnisarzt strafversetzt und bekam ein Disziplinarverfahren. Zu wenig Distanz zu den Gefangen und häufige, eigenmächtige Verhandlungen mit den Haftrichtern über Besuchsregelungen für die Häftlinge und mangelnde Kooperation mit den Justizbehörden lauteten die Vorwürfe. Penibler Registrator dieser „Dienstvergehen“: Alexander von Stahl. Anstaltsarzt Leschhorn zerbrach an diesem Disziplinarverfahren. Im Januar 1982 nahm er sich das Leben. In seinem Abschiedsbrief schrieb er, er habe die Schikanen des Justizsenats nicht mehr ausgehalten.

Der Selbstmord des engagierten Internisten löste über Berlin hinaus heftige Diskussion aus und erstmals wurde öffentlich der Rücktritt von Stahls gefordert. Doch der Staatssekretär überstand diese Krise und trat dem toten Leschhorn in einem Interview in der 'Zeit‘ noch einmal hinterher. Leschhorn, so von Stahl, habe sich teilweise die Forderungen der hungerstreikenden Gefangenen zu eigen gemacht und sich mit ihrem Schicksal „absolut identifiziert“.

Ein Jahr zuvor hatte von Stahl selber - vergeblich - seinen Rücktritt angeboten. Während des Westberliner Häuserkampfes hatte er sich bei einem juristischen Konflikt eindeutig gegen seinen obersten Dienstherrn, den damaligen Bürgermeister Hans Jochen Vogel gestellt. Sein Rücktrittsgesuch wurde jedoch vom Jusitzsenat abgelehnt.

Nach der Leschhorn-Affäre rückte von Stahl wieder in seine alte Rolle des dezent agierenden, pragmatischen Bürokraten. Seine Verwaltung hatte er immerhin so gut im Griff, daß sein vorletzter Dienstherr, Rupert Scholz, als Westberliner Justizsenator noch einen Nebenjob als Professor an der Münchner Uni ausfüllen konnte. 1987 zeigte von Stahl Anzeichen von Amtsmüdigkeit, trug sich mit Plänen, für die Friedrich-Naumann-Stiftung nach Argentinien zu gehen und lernte dafür schon eifrig Spanisch. Aber dann übte er sich doch weiter in der Rolle des Überlebenden sämtlicher Justizsenatoren. Als er 1989 unter der rot-grünen Koalition doch noch seinen Sessel räumen mußte, schlüpfte von Stahl in der Anwaltssoziät seines Ziehvaters Oxfort unter. Zuletzt sah man ihn bei Verkehrsdelikten in Verteidigerrobe hektisch durch die Westberliner Gerichtsflure eilen. Viele dachten bei seinem Anblick an das Ende einer Juristenkarriere - zu vorschnell, wie man spätesten seit gestern weiß.