Schnur-stracks verliert Kohl seinen erstbesten Stasi-Mann

Vorsitzender des „Demokratischen Aufbruchs“ von der West-CDU zum Rücktritt gezwungen / Der Konservative Wolfgang Schnur hat Stasi-Connection bestätigt / Mitarbeiter „Dr.Ralf Schirmer“ unter I/1628/83 in Rostock registriert / Rainer Eppelmann beerbt Schnur  ■  Aus Berlin Petra Bornhöft

Auf den Knall in Helmut Kohls „Allianz für Deutschland“ reagierte gestern mittag niemand so schnell wie die internationalen Geldhändler. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Nachricht vom Rücktritt des Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruchs, Wolfgang Schnur, und lange vor Kohls Wort von der „bitteren Erfahrung“ fielen die Kurse an der Frankfurter Börse. Schnur war von der Bonner CDU zum Rücktritt gezwungen worden, nachdem er seine Stasi -Connection bestätigt hatte.

Eberhard Diepgen (CDU) und Bernd Neumann, Bundes-CDU -Beauftragter für die „Koordination der Parteien der Allianz für Deutschland“, brachten Schnurs Rückzugserklärung direkt vom Krankenbett zu den in West-Berlin zusammengetrommelten Journalisten. Darin begründet Schnur seinen Rücktritt mit „ständigen massiven Angriffen auf meine Person im Zusammenhang mit dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit und der jetzt mir fehlenden Möglichkeit der objektiven Aufklärung der gegen mich erhobenen Vorwürfe“. Anstelle konkreter Stellungnahmen dazu betont Schnur „verbindlich: mein Wirken und Dienst galt stets den Verfolgten, Unterdrückten, den Bedrängten, den Hilflosen“. Ebenso „verbindlich“ hatte Schnur noch am 8.März erklärt: „Ich habe nie für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet.“

Diese „Ehrenerklärung“ hatte mit der Wirklichkeit offenbar genausoviel gemein wie seinerzeit das „Ehrenwort“ des Uwe Barschel. Durch das Kieler Desaster vorgewarnt, schlugen denn auch bei der Bonner CDU, nachdem sie Indizien und Gerüchte zuvor als „Diffamierungsfeldzug“ weggewischt hatte, seit Montag dieser Woche die Alarmglocken. Schnur hatte durch einen Beauftragten - der bis vor kurzem stellvertretender Chefredakteur bei 'Bild‘ war - gegenüber Generalsekretär Volker Rühe „bestätigt, er habe sich früher partiell auf eine Zusammenarbeit mit der Stasi eingelassen“, so gestern der West-CDUler Neumann. Nach Details über Schnurs Engagement befragt, sagte Neumann: „Wir sind nicht in Einzelheiten gegangen.“ Auch das dürfte haarscharf an der Wahrheit vorbeigehen.

Nach Informationen der Tageszeitung 'Die Welt‘ nämlich soll Schnurs Adlatus in Bonn zugegeben haben, „Lagebeurteilungen“ über Dissidenten an die Stasi geliefert zu haben. Auch hat er eine Verpflichtungserklärung gegenüber der Stasi abgegeben. Soweit die taz erfuhr, leistete Schnur am 4.6.1965 diese Unterschrift. Über die bekannten Verstrickungen hinaus scheint sicher, daß Schnur seit 1987 mit dem neuen Decknamen Dr.Ralf Schirmer und der Registriernummer I/1628/83 bei der Stasi in Rostock geführt wurde. Das geht aus den Stasi-Akten hervor, von denen die DDR-Generalstaatsanwaltschaft gestern nachmittag sagte, sie seien zweifelsfrei keine Fälschung. Schnur, der Anzeige gegen Unbekannt erstatte hatte, droht jetzt ein Verfahren wegen falscher Anschuldigung.

Welche Details bereits am Montag in Bonn bekannt waren, ist ungewiß. Allerdings jagte Rühe, nach Absprache mit dem Bundeskanzler, Bernd Neumann am Dienstag zum Krankenbett von Schnur. Fortsetzung auf Seite 3

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Der bestätigte den „Sachverhalt“. Daraufhin beschloß die Parteiführung, den DA-Vorsitzenden schnur-gerade in den politischen Abgrund zu stoßen. Rühe schrieb einen Brief mit den einleitenden Worten: „Ihren Einsatz wissen wir zu würdigen“, aber „dennoch erwarten wir, daß Sie umgehend Konsequenzen ziehen.“ Neumann brachte diesen Brief gestern morgen ins Krankenhaus und verließ den Bau mit Schnurs Rücktrittserklärung. Vor Journalisten fügte Neumann hinzu, die CDU halte die „politischen Zielsetzungen des Demokratischen Aufbruchs nach wie vor für unterstützens

wert“. Als jedoch dessen Generalsekretär Oswald Wuttke den Mund aufmachte, verfinsterten sich die Mienen der West -Brüder. Wuttke, der vergangene Woche Modrow und Gysi persönlich verantwortlich gemacht hatte für die „Schmutzkampagne gegen Schnur“, geiferte fortgesetzt, Schnur sei „ein Opfer der Machenschaften von SED, PDS und Stasi“. Moderater, aber die geballte Klugheit des DA nicht minder erhellend lehnte auch die stellvertretende DA-Vorsitzende Kögler jede Selbstkritik zurück. Schnur habe eine Ehrenerklärung abgegeben, und „nach so etwas habe ich überhaupt nicht weiter zu denken“.

Unisono „betroffen“ reagierten andere DDR-Parteien auf Schnurs Eingeständnis, mit der Stasi koope

riert zu haben. Minister Ullmann (Demokratie Jetzt) äußerte sein Unverständnis darüber, daß Schnur es „im Wissen um seine Vergangenheit“ riskiert habe, „sich in die politische Öffentlichkeit zu begeben“. SPD-Chef Ibrahim Böhme erinnerte daran, daß der Rechtsanwalt in den vergangenen 15 Jahren vielen Menschen durch Beratung und Verteidigung geholfen habe. Aus den Reihen des DA rollte die Welle der Distanzierungen - nachdem sich bis zuletzt insbesondere die gesamte Vorstandsriege mit Schnur solidarisiert hatte. Einer schwieg gestern, ganz gegen seine Gewohnheit: Rainer Eppelmann. Er wird „meinen Freund“ Schnur beerben, zumindest als Spitzenkandidaten für die Wahl am kommenden Sonntag.