Subversiv aufführen

■ Von Herbersteins „La Finta Semplice“

Ein neuer Begriff ist vonnöten, neben „historischer Aufführungspraxis“ wird man in Zukunft die „subversive Aufführungspraxis“ diskutieren müssen. Mit „La Finta Semplice“ setzte Petrus von Herberstein die geniale Antithese zur etablierten bürgerlichen Musikkultur - mehr noch: Er läutete die Totenglocke für das Bremer Musiktheater. Organisator, Dirigent und Regisseur vereinigten sich in diesem unermüdlich agierenden „lonesome cowboy“ der Opera Piccola, mit dem präzisen Instinkt für das Falsche. Alles wird auf den Kopf gestellt.

Herberstein vermeidet beim Dirigieren jeden Ansatz von akademischer Schlagtechnik, wedelt stattdessen leicht mit den Armen, als meinte er den „Ententanz“: die gelungene Parodie eines Dirigenten. Das Orchester ist sichtlich bemüht, immer nur auf die Intonation anzuspielen, die der junge Mozart niedergeschrieben hat. Die Instrumentengruppen setzen hintereinander statt zusammen ein; während Bläser verkehrt dazwischenprusten, driften bereits wieder die Streicher auseinander. Der Cembalist stottert die Rezitativakkorde herunter, so als gäbe es keine Sänger auf der Bühne; die Pause läßt er ungenutzt, um das Instrument nachzu

stimmen und unterstreicht damit noch die umstürzlerische Intention der Aufführung. Nach geraumer Weile klingt jeder richtige Takt, der versehentlich zustande kommt, verkehrt. Durch den verfremdenden Kunstgriff Herbersteins wurde selbst das Publikum in den Bann gezogen. Traditionelle Opernsitten verfielen, es kam zu Szenenapplaus; offen wurde in der Aufführung gelacht, als ob bereits der Zustand der Gesetzlosigkeit eingetreten sei. In der Inszenierung präsentierte sich die meisterliche Kompilation sämtlicher Klischees und Banalitäten des herkömmlichen Musiktheaters. Die Darsteller übertrieben ihre Rollen bis zur Parodie, sangen schlecht und steigerten den Klamauk derart, daß jedem ästhetischen Ernst der endgültige Todeshieb versetzt wurde. Die Banalisierung des Banalen durch genialen Dilettantismus enttarnte alles Operngetue als lächerlichen Humbug. Ein gigantisches B-Picture, das absolut würdig ist, den kongenialen Appendix zu den „Marx-Brothers in der Oper“ abzugeben. Die Grundlegung zu einer neuen Underground -Opernkultur, lebendige Alternative zum faulenden bürgerlichen Musiktheater: respektlos, schlecht, anarchisch und liebenswert. H. Schmid