Stasi-Leute in allen Parteien

■ Generalsekretär der DDR-CDU, Kirchner, sogar hauptamtlicher Stasi-Mann? / Bürgerkomitee Erfurt: Belastende Unterlagen gegen weitere Spitzenpolitiker

Berlin (taz) - Der Generalsekretär der DDR-CDU, Martin Kirchner, ist offenbar sehr viel enger mit der Staatssicherheit verstrickt, als er am Wochenende eingestanden hat. Nach Informationen der taz hat ein ehemaliger hochrangiger Stasi-Offizier, der sich seit Wochen in der „Obhut“ bundesdeutscher Nachrichtendienste befindet, den 40jährigen CDU-Mann schwer belastet. Kirchner sei entgegen seinen Aussagen nicht nur gelegentlicher Gesprächspartner der Stasi gewesen, sondern bis vor kurzem sogar deren hauptamtlicher Mitarbeiter.

Am Freitag hatten der hessische Verfassungsschutzchef Scheicher und Innenminister Milde (CDU) vor dem Hauptausschuß des hessichen Landtags überraschend zugegeben, daß der ehemalige Stasi-Offizier ihnen schon Ende Januar eine Liste mit 23 Namen von prominenten Stasi-Informanten vorgelegt hatte. Mit von der Partie: Wolfgang Schnur und Martin Kirchner.

Kirchner gestand daraufhin ein, im Rahmen seiner Tätigkeit als Vorstand des Kreiskirchenamtes Gera gelegentliche „Kontaktgespräche“ mit der Stasi geführt zu haben. Im Gegensatz zu Wolfgang Schnur habe er den Geheimdienst jedoch über nichts informiert. Wie der taz bekannt wurde, ist der ehemalige Stasi-Offizier, der die Namensliste mit Schnur und Kirchner vorgelegt hat, jedoch ganz anderer Meinung. Er soll den bundesdeutschen Verfassungsschützern schon vor Wochen mitgeteilt haben, daß Kirchner im Gegensatz zu Schnur sogar hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi war und vor allem zur Bespitzelung von oppositionellen Kirchenkreisen eingesetzt war. Kirchner ist Mitglied der Konferenz der Kichenleitungen in der DDR und stellvertretender Vorsitzender des Landeskrichenrates Thüringen.

Der Verdacht gegen Kirchner wird auch durch die Aussagen der Regierungskommission zur Auflösung der Staatssicherheit in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt erhärtet. Die Kommission hatte am Samstag erklärt, sie verfüge über Erkenntnisse, daß Spitzenkandidaten verschiedener Parteien Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen sind. Anzahl und Namen könne man jedoch aufgrund der Schweigepflicht nicht nennen, Man wolle aber dennoch warnen. In der Hessen -schau, dem Regionalfernsehen des hessischen Rundfunks, hatten Fortsetzung auf Seite 2

zwei Mitglieder des Erfurter Bürgerkomitees zur Auflösung der Stasi am Samstag erklärt, sie wollten schon am letzten Freitag, zwei Tage vor der Wahl, Namen von ehemaligen prominenten Stasi-Mitarbeitern und -Informanten veröffentlichen. Sie seien jedoch unter Druck gesetzt worden, davon Abstand zu nehmen. Die Durchsetzung der DDR -Parteien mit ehemaligen Stasi-Leuten dürfte nicht nur die Parteien der konservativen „Allianz für Deutschland“ treffen. Nach Darstellung des

Neuen Forums liegen der Wahlkommission der DDR Informationen vor, daß auch Spitzenkandidaten anderer Parteien ehemalige Mitarbeiter der Stasi sind. Das Neue Forum hat die Wahlkommission deshalb aufgefordert, innerhalb einer Frist von 7 Tagen nach den Wahlen zu überprüfen, welche neuen Abgeordneten früher für das MfS tätig waren. „Demokratisierung und Vergangenheitsbewältigung gehören zusammen“. Die Zentrale Wahlkommission der DDR hat noch am Vorabend der Wahlen bestritten, daß sie über nachprüfbare Hinweise auf die Stasi-Tätigkeit führender Politiker verfüge.

Ve.