Frauen-Perspektiven-betr.: "Im Schatten der Vereinigung", taz vom 12.3.90

betr.: „Im Schatten der Vereinigung“, taz vom 12.3.90

Ich habe mich sehr geärgert über Euren Beitrag von Gisela Anna Erler, der mir so gar nicht in die politische Landschaft zu passen scheint.

Als alleinerziehende und berufstätige Mutter beschäftigt mich seit Wochen die Frage, wie den Alltag einigermaßen hinkriegen angesichts des Kita-Streiks, dessen Zielsetzung ich voll unterstütze, geht es doch um eine qualitative Verbesserung der täglichen Lebensbedingungen meines Kindes.

Als Lehrerin bin ich den Kolleginnen im Erzieherinnenberuf dankbar, dafür, daß sie sich aufgemacht haben für die Kinder und für sich, denn beides ist untrennbar, bessere Bedingungen zu erstreiten, trotz der enormen Zusatzbelastung, die das aktuell bedeutet. Die jetzt schon ständige, schleichende Erhöhung der Gruppenfrequenzen, ganz zu schweigen von dem, was auf uns zukommt, erschwert auch uns sinnvolle und notwendige pädagogische Arbeit im Interesse von Kindern und Jugendlichen.

Qualität aber gibt es nirgendwo zum Nulltarif. Qualitative Verbesserungen im pädagogischen Bereich kosten Zeit und Kraft und Kreativität, die nicht unter Streß entstehen. Um mit Kindern zu arbeiten, braucht man vor allem Ruhe und Zeit für sie. Fortbildung ist ein Schlüsselwort.

(...) Um selbstbewußt auftreten zu können, um an Qualität, Lebensqualität für sich und seine Kinder denken zu können, braucht man, nein, braucht frau Zeit.

Solange sich nicht die ganze Gesellschaft, Männer und Frauen, für den Erhalt und den qualitativen Ausbau von Einrichtungen zur pädagogisch sinnvollen Kinderbetreuung einsetzt, ist es schlecht bestellt um die Entwicklungsmöglichkeiten des größten Teils der Frauen. Damit entfällt auch deren Engagement für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen, also für die Entwicklung „weiblicher Lebensmodelle“.

Ich finde es ungerecht zu sagen, Frauen könnten „heftige Wettbewerbsbedingungen nicht ertragen, ohne dazu zu sagen, auf Grund welcher Umstände dieses möglicherweise sein könnte. Und: Welche weiblichen Stützmaßnahmen machen die Männerwelt „wettbewerbsfähig“?

Die Forderung nach Erhalt von Kinderkrippen und -Horten ist genausowenig eine zweischneidige Angelegenheit wie die Forderung nach tariflicher Absicherung der Personalzumessung im Kita-Bereich. Daß mit der Absicherung von Rahmenbedingungen längst nicht alles gesagt ist, daß damit erst elementarste Voraussetzungen geschaffen sind, das ist eine andere Sache.

Irene Eckert, Berlin

Gisela Erler liebt es wohl zu provozieren. Oder meint sie es ernst, daß wir hier in der BRD, also wir Frauen emanzipierter sind? (...)

Wenn ich in dieser Gesellschaft lebe und mich nicht nur in bestimmten Kreisen abschotte (ab und zu ja sehr wohltuend), merke ich doch dauernd wie patriarchal diese Gesellschaft ist. (...) Auch die These, je größer der Staat, desto unterdrückter die Frau, finde ich etwas schnell gefolgert; es hat wohl mehr etwas mit zentralen oder dezentralen Formen der „Herrschaft“ zu tun. Selbst aus eurozentrierter Sicht kann ich „kleineren Nationen“ nicht zugestehen, daß Frauen darin mehr Partizipation erkämpft haben (siehe Schweiz und Schwerpunkt auf erkämpft).

Sicherlich ist die Frage nach Qualität eines Familienlebens besonders in bezug auf Kindererziehung-betreuung-liebe zu stellen, aber warum auf dem Rücken der Frauen der DDR?

Maria Lampe, Flensburg