„Es brennt in Hamburg, in Frankfurt“

■ 4.000 ErzieherInnen befinden sich in West-Berlin immer noch im Ausstand / Der Kita-Streik ist in die 10.Woche gegangen / Nichts scheint sich mehr zu bewegen / In die Wut der Streikenden mischt sich langsam auch Resignation.

taz: Auf eurer letzten Streikvollversammlung gab es sehr heftige Plädoyers für die Fortsetzung des Streiks. Es wurde auch an der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften und der Tarifkommission gezweifelt. War das nur eine laute Minderheit oder ist das auch Meinung der Mehrheit?

Marita Melzer: Der engagierte Teil der Kolleginnen hat seine Wut geäußert. Aber ich habe auch gesehen, daß das durchaus nicht alle waren, sondern ungefähr die Hälfte. Die anderen haben geschwiegen. Etwas schwierig ist auch, daß viele Kolleginnen jung sind oder wenig Gewerkschaftserfahrungen haben und jetzt in dieser Streiksituation, Höhepunkt jedes Gewerkschaftslebens, gleich so stark gefordert werden.

Birgit Lange: Die Mehrheit will weiterhin einen Tarifvertrag mit Gruppengröße, Personalschlüssel und Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Allerdings macht sich inzwischen eine etwas resignierte Stimmung breit, weil der SPD-geführte Senat nach neun Wochen immer noch keinerlei Bereitschaft zeigt, auf unsere Forderungen einzugehen, sondern uns totlaufen lassen will. Ein großer Teil befürchtet inzwischen, daß gegen diese harte Haltung der Kampf jetzt nicht zu gewinnen ist. Aber mit einem faulen Kompromiß wollen sich die meisten Erzieherinnen nicht abfinden. Die Wut ist groß. Doch die Erzieherinnen können sie nicht an der richtigen Stelle loswerden, nämlich beim Senat, weil der unsere Forderungen abwehrt. Wenn wir vors Rathaus ziehen, kommt keiner raus, um mit uns zu reden. Also richtet sich die Wut inzwischen gegen die eigenen Reihen, die Gewerkschaften und die Tarifkommission.

Marita: Das ist ein ganz wichtiges Moment. Den Eltern geht das so und den Kolleginnen erst recht.

Bisher haben euch die Eltern weitgehend unterstützt. Bröckelt da die Solidarität inzwischen auch?

Birgit: Sagen wir mal so: Die Eltern, die uns bisher leise unterstützt haben, die „nur“ die Belastung getragen haben, nämlich ihre Kinder immer woanders unterzubringen, ohne lautstark gegen uns aufzutreten, die verlieren wir langsam. Aus ihrer Verzweiflung heraus richten sie sich immer mehr gegen uns. Ich merke es daran, daß sie in unserer Kita anrufen und fragen: Mensch, wann ist es denn endlich vorbei? Neulich habe ich mit einer alleinerziehenden Mutter gesprochen, die hat gesagt: Ich muß euch jetzt auffordern, mit dem Streik aufzuhören. Ich kann nicht mehr. Nächste Woche nehme ich unbezahlten Urlaub, dann geh‘ ich an meinen Jahresurlaub ran, danach verlier‘ ich meinen Job. Das kann ich mir nicht leisten. Als ich ihr erklärte, daß sie sich eigentlich an den Innensenator wenden müßte, weil er derjenige ist, der da mauert, sagte sie: Dort wird man von einem zum nächsten verwiesen. Bei euch hört einem wenigstens einer zu.

Aber die Eltern, die uns von Anfang an tatkräftig unterstützt haben, mit Briefeschreiben und Demos organisieren, die finden auch, daß wir nicht aufhören sollen.

In der Öffentlichkeit wird immer wieder kritisiert, die Gewerkschaften wollten mit diesem Streik auf Teufel komm raus ihren Machtkampf mit der SPD austragen. Es heißt, die Erzieherinnen hätten schon längst die Waffen gestreckt, wenn die Gewerkschaften nicht so Druck gemacht hätten. Seid ihr die verführten Opfer?

(Beide lachen)

Marita: Dieser Tarifvertrag ist erwachsen aus der mißlichen Lage in den Kitas. Er wurde von den Erzieherinnen selbst entwickelt, was lange gedauert hat. Und wir haben die Gewerkschaften dazu gedrängt, ihn mit uns durchzukämpfen. So herum ist es richtig.

Birgit: Ich habe wesentlich daran gearbeitet, meine Kolleginnen für den Entwurf des Tarifvertrags zu begeistern. Damals haben die Kolleginnen gesagt: Mensch, das ist ja schön und gut, aber glaubt ihr, daß ihr das durchkriegt.

Es geht um die Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen. Und die sind ganz eng verbunden mit den Lebensbedingungen der Kinder in dieser Stadt. So haben wir auch die Eltern gewonnen. Der Knackpunkt ist immer das fehlende Personal. Wenn von 13 Kolleginnen fünf nicht da sind und acht Gruppen acht Erzieherinnen gegenüberstehen, und das über einen Tag von elfeinhalb Stunden, dann geht das an die Substanz aller Beteiligten. Diese Situation ist nur durch einen Arbeitskampf zu verändern. Das haben die KollegInnen begriffen, und deswegen sind sie in die Gewerkschaften reingegangen, weil man nur mit ihnen einen solchen Kampf führen kann.

Was passiert, wenn dieser Streik zu Ende geht mit einem Ergebnis, das für die meisten eigentlich inakzeptabel ist?

Marita: Es ist sicher nicht angesagt, daß die ErzieherInnen nach dem Streik wieder massenhaft aus der Gewerkschaft austreten. Wir müssen andere Formen des Kampfes finden, die politisch mehr nach außen wirken. Meine Warnung an Herrn Momper ist: Wenn er einen Deckel auf einen brodelnden Topf drückt, muß er damit rechnen, daß irgendwann die Bombe hochgeht.

Birgit: Wir machen uns seit geraumer Zeit darüber Gedanken, was passiert, wenn wir den Tarifvertrag mit den uns wesentlichen Bedingungen nicht bekommen. Wir müssen dann verstärkt auch Kollegen und Kolleginnen aus anderen sozialen Bereichen, also Krankenschwestern, AltenpflegerInnen, LehrerInnen, Leute in derJugendförderung ansprechen und davon überzeugen, daß nur ein gemeinsamer Kampf Verbesserungen im sozialen Bereich bringen kann.

Man versucht aber, euch gegenseitig auszuspielen. Herr Momper sagte, er könne das Genöhle der Erzieherinnen nicht mehr hören. Den Kitas ginge es schließlich viel besser als den anderen Bereichen, zum Beispiel der Kranken- oder Altenpflege.

Marita: Ich hab‘ den Eindruck, das gehört zum schmutzigen Geschäft der Politik.

Birgit: Da können wir doch nichts dafür, daß es anderen Bereichen auch schlecht geht. In der Altenpflege, Krankenpflege und Kindererziehung werden Gruppen betreut, die ein hohes Maß an menschlicher Zuwendung brauchen. Und die bekommen sie von Frauen (es soll ja auch Männer geben in diesen Berufsgruppen, d. Korr), die zwar gut qualifiziert sind aber schlecht bezahlt werden. Aber sie werden nicht nur körperlich ausgenützt, sondern auch psychisch. Diese Bereiche haben was gemeinsam und sollten sich gemeinsam für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einsetzen.

Gibt es dafür schon Ansätze?

Birgit: Es gab ja schon vor unserem Streik jede Menge Unruhe, in den Krankenhäusern und in der Krankenpflege. Unsere Kita liegt in der Nähe vom Klinikum Charlottenburg. Wir haben Kontakt zu den Krankenschwestern dort aufgenommen und werden heute das zweite Mal deren Aktionen vorm Kliniktor unterstützen, indem wir uns mit unseren Forderungen daneben stellen und sagen: Wir haben dieselben Interessen. Das ist ein ganz kleines Pflänzchen, und ich bin bemüht es gut zu pflegen.

Zurück zu eurem Streik, der längste in der Berliner Nachkriegsgeschichte. Wie wirkt sich das auf euer Selbstbewußtsein aus?

Marita: Ich wußte, daß Frauen zäh sind. Ich wußte, daß Frauen eine ganze Menge aushalten, besonders in diesem politischen Klima. Aber natürlich macht das selbstbewußt und stärkt zusätzlich.

Birgit: Frauen in unserem Beruf müssen viel aushalten. Von der Rechtskoalition werden Frauen immer als duldsam, helfend, alles ertragend hingestellt. All diese Eigenschaften haben wir in diesem Kampf genutzt, aber für eine positive Verändernung.

Vielleicht stellt sich der Senat unter anderem auch deshalb so stur, damit es nicht Schule macht, daß duldsame Frauen plötzlich geschlossen aufstehen und sagen: So geht es nicht weiter. Das kann ja Signalwirkung haben.

Marita: Die Arroganz, mit der Herr Momper immer wieder reagiert hat, macht das ja deutlich. Es ist eine Machtfrage in dieser Männerpolitik: Frauen sollen die Oberhand nicht so schnell kriegen. Auch wenn der Senat die Frauenpolitik auf seine Fahne geschrieben hat.

Das klingt nach herber Enttäuschung.

Birgit: Am 8.März hatten wir hier eine Frauen -Gewerkschaftsveranstaltung. Da waren auch Senatorinnen eingeladen, die auf die Frage antworten sollten: Was hat ein Jahr Regierung an Frauenpolitik gebracht. Ich habe Frau Volkholz (Senatorin für Erziehung - die Red.) gefragt, wie denn Beschlüsse im Senat gefaßt werden, und das hat mir die letzten Illusionen geraubt. Sie hat nämlich gesagt: Wenn wir drei AL-Frauen den Beschluß nicht mittragen können, wird ein Dissens festgeschrieben. Der Beschluß wird dann aber trotzdem durchgeführt. Wenn sich aber die acht Frauen gegen die fünf Männer zusammentun und ein frauenspezifisches Votum abgeben, dann gibt's keinen Beschluß. Und da ist mir die Ohnmacht der Frauen in diesem Senat so richtig deutlich geworden. Das ist kein Frauensenat, die Frauen werden dort nur benutzt als feministische...

Marita: ... Strohpuppen. Für mich ist der Frauensenat, ganz besonders die Frauensenatorin eine Ent-Täuschung.

Und warum hat die Gewerkschaft, warum habt ihr frauenpolitische Forderungen in diesem Streik bisher nicht stärker hervorgehoben? Warum habt ihr nicht versucht, die frauenbewegten Kreise in dieser Stadt für euch zu mobilisieren?

Marita: Für mich hat der Frauenaspekt erst in zweiter Linie eine Rolle gespielt. Erst im Laufe des Kampfes hats bei uns geklickert: Das sind ja zum überwiegenden Teil Frauen. Es hat auch eine ganze Weile gedauert, bis wir unsere eigenen Leute aufgeklärt und eingestimmt haben. Andere Bereiche zu mobilisieren hätte noch viel länger gedauert. Teilweise haben wir ja auch Solidaritätsadressen und Unterstützung von Frauen aus dem DGB und den anderen Gewerkschaften gekriegt.

Birgit: Ich finde, wir haben nach unseren Kräften das frauenpolitische Thema durchaus mitvermittelt. Ich denke da an die Demonstrationen mit den Eltern zusammen oder an Kundgebungen und Diskussionsveranstaltungen. Ich würde eher die Kritik an die Frauenbewegung richten. Warum haben die so lange gebraucht, bis sie kapiert haben, daß unser Streik auch ein Thema für sie ist. Die haben da ein Stück weit geschlafen. Vielleicht weil die ganze linke Bewegung in dieser Stadt in der letzten Zeit ein bißchen marode ist.

Welche Signalwirkung hat euer Streik über Berlin hinaus?

Birgit: Sowohl die Arbeitgeber als auch die Gewerkschaftler gucken sehr genau hin. Das bittere an der Tatsache, daß wir offensichtlich unser Ziel nicht erreichen, ist, daß sich die Arbeitgeber nach unserer Niederlage sehr lautstark sagen werden: Guckt, in Berlin hat's nicht geklappt, was wollt ihr dann. Und die Kolleginnen, die in anderen sozialen Bereichen arbeiten und sich auch eine Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebenssituation wünschen, beobachten das auch sorgfältig.

Marita: Es brennt in Bremen, in Hamburg, in Frankfurt, in Bayern. Bei unseren Vollversammlungen traten Kolleginnen aus anderen Städten auf und haben uns ihre Situation dort geschildert. Auch dort werden Arbeitskämpfe vorbereitet. Wenn die Politik soziale Bereiche derart vernachlässigt und unter Druck setzt, muß es zwangsläufig dazu kommen.

Interview: Ulrike Helwerth