Lieferung von Chemieanlagen in Irak war rechtens

■ Hessischer Verwaltungsgerichtshof erklärte Verordnung der Bundesregierung zum Außenwirtschaftsgesetz für ungültig / Zoll hätte die Lieferung von Pilot Plant an Irak nicht beschlagnahmen dürfen / Wird Schadensersatz in Millionenhöhe fällig?

Berlin (ap/taz) - Eine Riesenschlappe erlitt die Bundesregierung am Montag vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof: Das Gericht erklärte in zweiter Instanz eine von der Bonner Kanzlercrew im August 1984 mit heißer Nadel gestrickte Verordnung für ungültig, mit der die Ausfuhr von Chemieanlagen, die auch zur Herstellung von Giftgas genutzt werden können, verhindert werden sollte. Hintergrund der Entscheidung ist eine Aktion des Darmstädter Zolls, der auf Grundlage der Verordnung eine Lieferung der Firma Pilot Plant an den Irak verhindert hatte. Dabei handelte es sich um die Lieferung von Anlagen, die nach Angaben der Firma Pilot Plant, einer Tochter der Karl Kolb GmbH, der Herstellung phosphororganischer Pestizide dienen sollte.

Tatsächlich, so jedenfalls die damaligen Erkenntnisse des amerikanischen und israelischen Geheimdienstes, sollte die in der irakischen Wüstenstadt Samarra gebaute Anlage von Anfang an zur Herstellung chemischer Waffen gebaut werden. Nachdem die US-Regierung in Bonn interveniert hatte, versuchte die Bundesregierung gegen die Lieferung einer potentiell zur Giftgasherstellung geeigneten Anlage einzuschreiten. Helmut Kohl erteilte seinem damaligen Wirtschaftsminister Bangemann die Order, er solle ihm „das Problem vom Hals schaffen“.

In Abwesenheit des Kanzlers, Kohl urlaubte am Wolfgangsee, bastelte Bangemann eine Verordnung, die der damalige Kanzleramtschef den Ministern zuleitete. Da die Zeit drängte, sollten sich die Kabinettsmitglieder innerhalb einer Frist äußern - kam keine Rückmeldung, wertete das Kanzleramt dies als Zustimmung. Nach Ablauf der Frist unterzeichneten Bangemann und der als Kanzlervertreter amtierende Postminister Schwarz-Schilling die Verordnung und ließen sie im Bundesgesetzblatt verkünden. Dieses Verfahren erklärte der hessische Verwaltungsgerichtshof nun für unzulässig. Die Bundesregierung als Institution habe der Verordnung „weder in einer Kabinettssitzung noch sonst ausdrücklich zugestimmt“.

Die Entscheidung kann für die Bundesregierung erhebliche Schadensersatzforderungen nach sich ziehen. Seit Bonn in der ersten Instanz verlor, ist im Bundeshaushalt eine Entschädigung in Millionenhöhe bereitgestellt. Noch wird das Geld zurückgehalten, da die Darmstädter Staatsanwaltschaft nach wie vor gegen Kolb und die mittlerweile aufgelöste Firma Pilot Plant ermittelt. Trotz des seit 1984 bestehenden Verdachts des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz ließen die Staatsanwälte erst im November 1987 die Geschäftsräume von Kolb durchsuchen.

Auf Drängen der Opposition verlangte der Bundestag schließlich bis Ende 1988 einen Zwischenbericht. Danach hatte sich für die Staatsanwaltschaft der Verdacht erhärtet, daß die gelieferten Chemieanlagen zur Herstellung von Kampfstoffen geeignet waren. Trotzdem so die Staatsanwälte, dürfte der Nachweis schwerfallen, daß die Anlagen im Sinne des Außenwirtschaftsgesetzes das Merkmal „besonders konstruiert“ für Kampfstoffproduktion, erfüllen. Ergo: Trotz tausendfachen Giftgaseinsatzes der Iraker im Golfkrieg und gegen die kurdische Bevölkerung, werden die deutschen Anlagenlieferanten wahrscheinlich noch eine Entschädigung erhalten, weil die Bundesregierung nicht in der Lage war, eine Verordnung rechtsgültig zu erlassen.

JG