„Es liegen noch mehr Kampfstoffe hier“

■ Interview mit dem Giftgas-Kläger und einstigen rheinland-pfälzischen DGB-Chef Julius Lehlbach zum Abzug der C-Waffen aus der Pfalz / Amis lagern noch heute längst verrottete Kampfstoffe, die aus den Kriegsbeständen der Franzosen stammen

taz: Herr Lehlbach, 1988 scheiterten Sie vor dem Bundesverfassungsgericht mit ihrer Klage gegen die C-Waffen, die in der Bundesrepublik stationiert sind. Anders als die Karlsruher Richter aber gibt Ihnen die Geschichte nun im nachhinein recht: Bis Ende Herbst 1990 soll das Giftgas vollständig aus der Pfalz verschwinden. Was geht in Ihnen vor?

Julius Lehlbach: Ich bin zwar froh, daß jetzt wenigstens der einsatzfähige Teil des amerikanischen Nervengases aus dem pfälzischen Clausen abgezogen wird. Sie müssen aber auf das Wort „einsatzfähig“ achten. Es liegen nämlich noch mehr Kampfstoffe auf bundesdeutschem Boden.

Sind Sie sicher, daß außer dem amerikanischen Giftgas in Clausen noch ältere Bestände in anderen Depots lagern?

Ich weiß genau, daß es derartige Bestände gibt. Ich weiß, daß die Franzosen bei ihrem Abzug aus Deutschland das von ihnen gehortete Giftgas den Amerikanern übergeben haben. Ich weiß, daß dieses verrottete Giftgas noch immer in Fischbach oder sonstwo in der Pfalz lagert.

Das würde erklären, warum bislang noch nicht offengelegt wurde, was denn nun im US-Depot Fischbach herumliegt, wo man jahrelang die C-Waffen der USA vermutete.

Das ist nicht das einzige. Wir haben ja noch andere Depots, die in dem Geruch stehen, mit Giftgas bestückt zu sein. Sowohl in der Pfalz als auch zwischen Mannheim und Viernheim, im Käferthaler Wald - und auch in dem amerikanischen Lager in Hanau. Der genaue Lagerort dieser alten Kampfgase, ihre Menge und ihr Zustand wird weiterhin verschwiegen.

Bevölkerung getäuscht

Auch was Clausen anbelangt, schwiegen Bonn und Mainz sich lange aus. Wie sehen Sie die bisherige Informationspolitik von Washington, Bonn und Mainz?

Im März wurde in Clausen nicht die Wahrheit gesagt, sondern Valium verabreicht. Die Bevölkerung wurde getäuscht über die massenmörderische Gefahr beim Transport dieses Teufelszeugs quer durch unsere Republik und über den mangelnden Katastrophenschutz. Ob es eigens Pläne für den Abzug gibt, ist mir nicht bekannt. Ich weiß nicht, ob sich die Bundesregierung da nicht völlig auf die Amerikaner verläßt. Ebensowenig weiß ich, ob die Zivilbevölkerung entlang der Strecke ausreichend verständigt wird.

Aller Kritik zum Trotz versucht die Bundesregierung - vor allem die CDU mit Kanzler Helmut Kohl - den Abzug als ihren Erfolg zu verkaufen. Überall, auch in Mainz, scheinen plötzlich selbst CDU-Politiker einer Meinung mit Ihnen zu sein, Herr Lehlbach. War das immer so?

Nein. Der damalige Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) hat schlichtweg abgestritten, daß in der Pfalz überhaupt Giftgas lagert. Der Mainzer Innenminister Rudi Geil (CDU) und Ministerpräsident Carl-Ludwig Wagner redeten erst von Abzug, als Kohl aus Bonn verkündete, die C-Waffen würden abtransportiert. Was derzeit wirklich in der Landesregierung los ist, zeigt die Forderung des Wirtschaftsministers Rainer Brüderle (FDP), in Clausen ein „Anti-Angst-Büro“ einzurichten. Das ist typisch für die menschenverachtende Fürsorge von Bundes- und Landesregierung in der Giftgasfrage: Nicht das Giftgas, das Leben und Gesundheit der Bevölkerung bedroht, ist zu bekämpfen, sondern die Todesangst der Bevölkerung. Die nämlich könnte ja das Wahlverhalten ändern!

Aber auch der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichtes hat 1988 sein diesbezügliches Verfassungsverständnis in einem Grundsatz geäußert - ich zitiere: „Rückwirkungen auf die eigene Bevölkerung beim völkerrechtsgemäßen Einsatz von Giftgas sind hinzunehmen, weil die Erfordernisse der Landesverteidigung das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit außer Kraft setzen.“ Der Abzug ist ja nun ein „völkerrechtsgemäßer Einsatz“. Wenn dabei eine Giftgaswolke austritt und Tausende von Menschen sterben, dann müssen die das hinnehmen, weil das Grundrecht auf Leben außer Kraft gesetzt ist.

Einst ein Verfassungsfeind

Einige der Politiker, die heute den Abzug der C-Waffen „begrüßen“, nannten Sie damals wegen Ihrer Klage noch einen „antiamerikanischen Nato-Feind“ oder einen „unverschämten Friedensquerulanten“. Haben diese Politker sich jetzt bei Ihnen entschuldigt?

Selbstverständlich nicht. Die schmücken sich heute mit den Lorbeeren, nachdem sie mir jahrelang die Dornen durch Gesicht gezogen haben. Mir geht da ein Aphorismus des polnischen Satirikers Lec nicht aus dem Kopf: „Und die ihn früher verfolgten, rühmten sich später damit - nicht ohne Grund: Sie wären seinen Spuren gefolgt.“ Ein Beispiel: Noch unsere vorletzte internationale Anti-Giftgas-Konferenz in der Mainzer Universität fand ihren Niederschlag im Bericht des Verfassungsschutzes - als verfassungsfeindliche Veranstaltung.

Wie werden Sie nun weiter gegen die Giftgas-Altbestände vorgehen?

Ich hoffe, daß die Friedensbewegung diese Frage im Auge behält. Ich werde das Meine dazu beitragen, eben solange „querulieren“, bis das Volk und die Regierungen auch das übrige tun. Solange mir Kraft und Leben bleiben.

Ich werde aber auch dafür streiten, daß die Sowjetunion ihrerseits ihr Giftgas aus der DDR abzieht. Der DDR -Friedensrat hat mir zwar stets versichert, es sei kein Giftgas in der DDR gelagert. Das aber sehe ich als völlig unwahrscheinlich an. Das Giftgas muß aus der DDR, auch aus allen anderen Staaten des Warschauer Paktes, verschwinden.

Interview: Joachim Weidemann