Neu im Kino: „Sidewalk Stories“ von Charles Lane

■ Sprachlose Trottoirs

New York ist die Stadt mit den tausend Gesichtern. Auch wer nie da war, weiß das, vorausgesetzt, eine gewisse Kinoleidenschaft ist vorhanden. Woody Allen ist in den jüdisch-bürgerlichen Vierteln zuhause, Martin Scorsese bildet den Glamour und die italienischen Gegenden vom Big Apple ab, Spike Lees Filme spielen in den schwarzen Ghettos und die Aufzählung könnte noch viele Zeilen weitergehen. Nun gibt es einen neuen Regisseur, dessen erste größere Kinoarbeit auch eine Hommage an den Moloch N.Y.C. darstellt.

Charles Lane heißt der Mann. Er ist schwarz, hat vorstehende Zähne, ist von kleinem Wuchs und machte bei Sidewalk Stories neben der Regie das Drehbuch, die Produktion, den Schnitt und den Hauptdarsteller gleich mit.

Aber das ist noch längst nicht das Ende der Fahnenstange interessanter Aspekte des Allrounders.

Sein New York ist die Bronx und die angegammelten Bürgersteige des Greenwich Village. Dem Ambiente angemessen drehte Lane seine Erzählungen vom Trottoir in schwarz-weiß und stumm.

New York City, morgens. Die werktätige Bevölkerung strebt in Massen zur Arbeit, die Bürgersteige sind gefüllt mit hastenden Menschen. Doch schon wenige Meter um die nächste Ecke zeigt sich die Millionenstadt von ihrer schäbigen Seite. Hier fristen die sozial Schwachen ihr Dasein, die

Drop-outs, Freaks und Lebens

künstler. Auch der junge, namenlose Portraitzeichner (Ch. Lane) schlägt sich so durch, wenn er nicht gerade selbst von einem Konkurrenten geschlagen wird. Aber da er mindestens so gewitzt wie klein ist, gelingt es ihm, sich immer wieder über Wasser zu halten.

Auf einen Schlag ändert sich allerdings seine Situation, als er zufällig Zeuge eines Mordes wird. Neben der Leiche eines Mannes entdeckt der erschrockene Zeichner ein kleines Kind in einer Karre. Natürlich läßt der sympathische Wuselzwerg das Mädchen nicht allein und schon befinden wir uns mit ihm auf einer Odyssee durch Asyle, Leihbüchereien, Abbruchhäuser und Pappkarton-Nachtlager - immer auf der Suche nach der Mutter und ganz ohne Sprache.

Lanes Bildsprache, die übertriebene Gestik und die atmosphärische Musik erinnern unwillkürlich an die Stummfilme der zwanziger Jahre, an Charles Chaplin und seinen Tramp oder The Kid.

Aber Sidewalk Stories behält eine Eigenständigkeit, die weiter geht. Die sozialen Probleme der Großstadt wirken gerade durch den Verlust der Sprache wie durch ein Brennglas gefilmt, der Blick auf die Menschen am Rande der Gesellschaft wird fokussiert. Charles Lanes filmisches Wagnis ist aufgegangen. Jetzt soll er ganz schnell etwas Neues drehen.

J.F.Sebastian

Schauburg, kl. Haus, 18 u. 20 Uhr