„Beim Verkehrssenator geht alles im Kriechgang“

■ S-Bahn-Ausbau: Die AL bekommt Schützenhilfe von ganz anderer Seite / Der Bauunternehmer Dietmar Otremba (CDU) hält den Ausbau von Nord- und Südring in zwei Jahren für möglich / Harte Kritik an der Verkehrsverwaltung des Senats

Seit über sechs Jahren gehört die S-Bahn zu West-Berlin, (fast) nichts geht voran. Warum das so ist, ob das so bleiben muß und über Berliner Verkehrspolitik nach der Maueröffnung sprach die taz mit Dietmar Otremba, dem Vorsitzenden des Landesverbandes Freier Wohnungsunternehmen. Otremba führt eine der größten Berliner Baufirmen und ist seit 30 Jahren Mitglied der CDU.

taz: Herr Otremba, Sie hatten kürzlich öffentlich kritisiert, daß die S-Bahn, vor allem die Ringbahn nicht schnell genug instand gesetzt wird. Wäre dies denn schneller möglich?

Otremba: Ja, das geht, denn man muß die Ringbahn nicht so aufwendig wiederherstellen, wie das jetzt geplant ist. Man könnte viele Ausbaumaßnahmen, die notwendig und sinnvoll sind, auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Zum Beispiel der Ausbau der Bahnhöfe: Viele Aufzüge und Rolltreppen kann man nachher einbauen, denn da berührt die Funktionsfähigkeit des Verkehrsnetzes nicht. Auch bei Baumaßnahmen an den Bahnsteigen und an der Verknüpfung von Linien kann man einiges später machen. Da müssen die Leute zwar erst mal etwas länger laufen, aber die Bahn fährt schon. Es ist im übrigen ein Irrtum zu glauben, wenn man manches später macht, wird es teurer. Allerdings denke ich, daß die modernste Signaltechnik gleich eingebaut werden soll, um eine hohe Zugfrequenz zu erreichen. Zu dieser hohen Sequenz werden wir schnell kommen müssen, so wie in London, wo die Züge alle zwei Minuten fahren. Und dann müßte im Mehrschichtenbetrieb oder wenigstens im Zweischichtenbetrieb gearbeitet werden.

Und warum wird das nicht gemacht?

Ich vermute, das liegt daran, daß die Firmen und Planer daran interessiert sind, daß sich das so abwickelt, wie es immer gemacht wurde. Das ist bei Beamten so üblich, aus lauter Bequemlichkeit. Auch die Firmen wollen die Aufträge strecken, die wollen so lange wie möglich damit zu tun haben. Das ist zwar ihr gutes Recht, aber dem muß man ja als Senat nicht nachgeben.

Eigentlich müßte der Mehrschichtenbetrieb sogar billiger sein.

Ja, da haben Sie recht, denn die Baustelleneinrichtung kostet auch Geld. Es ist skandalös, wenn man sich ansieht, daß beim Ringausbau gar nichts passiert. Wenn Sie mal daran vorbeifahren, dann sieht man hin und wieder mal jemanden was tun, aber man hat bestimmt nicht den Eindruck, daß instensiv an der Wiederherstellung des Gleisbettes gearbeitet wird.

Wie schnell könnte der Ausbau denn gehen?

Es werden ja noch nicht einmal ein Tunnel oder neue Brücken gebaut, was lange dauert, sondern nur Gleise neu gelegt und der Unterbau neu gemacht. Das geht mit heutigem Gerät in unheimlicher Geschwindigkeit. Der ganze Ring - Süd und Nord

-, der wäre in zwei Jahren betriebsbereit.

Reichen Mehrschichtenbetrieb und reduzierter Standard, um den Ausbau zu beschleunigen?

Nicht nur. Ich bin der Meinung, daß die Planer grundsätzlich falsch vorgehen, und zwar immer schon: Sie nehmen sich zu große Abschnitte vor und wollen die parallel zueinander herstellen. Zum Beispiel den gesamten Südring und noch zwei Linien dazu, statt die begrenzten Finanzmittel auf eine einzige Linie zu konzentrieren.

Wo müßte die Prioritäten setzen?

Die Prioritäten sind ja gar nicht strittig: Das ist vor allem die U-Bahn ins Märkische Viertel, und dann gleich die Ringbahn. Und dann kommen die Linien in die Außenbezirke und die wichtigen Verknüpfungen. Zum Beispiel den Weiterbau der U-Bahn unter den Kurfürstendamm, da ist ja schon die Planung fertig. Oder in der Herrmannstraße, da endet die U-Bahn -Linie ein paar hundert Meter vor dem S-Bahnhof Herrmannstraße am Südring, und der Verbindungstunnel ist fast fertig, der müßte ganz schnell in Angriff genommen werden. Denn je mehr Knoten es im Netz gibt, um so mehr steigt das Fahrgastaufkommen, und zwar nicht linear, sondern progressiv. Wichtig ist auch die Linie nach Potsdam, das ist eine Stadt mit fast 200.000 Einwohnern, die wir ganz schnell anbinden müssen.

War es, rückwirkend betrachtet, nicht ein Fehler, die Linie nach Heiligensee zu demontieren?

Im nachhinein gebe ich Ihnen recht, aber das konnte damals niemand voraussehen.

Es gibt Leute bei der BVG, die sagen, bei der S-Bahn gibt es nicht genug Fachfirmen, die den Ausbau so schnell machen können.

Das halte ich rundum für Unsinn. Da muß man eben in der ganzen Bundesrepublik die Firmen auffordern, sich zu beteiligen. Das machen wir ja woanders auch.

Warum ist man nicht schon sehr viel eher in die Planung eingestiegen, nachdem das Land ja schon seit Januar 1984 im Besitz der Ringbahn war?

Das war damals nicht abzusehen. Die Situation hat sich jetzt dramatisch verändert in der Stadt. Wir haben plötzlich viel mehr Verkehr, der nur durch die öffentlichen Transportsysteme bewältigt werden kann. Da muß man die Planungsprioritäten anders setzen, wenn wir nicht im Verkehr ersticken wollen. Aber bei der Verkehrsverwaltung geht halt alles im Kriechgang weiter...

Senator Nagel hat ja schon Vorschläge zum S-Bahn-Ausbau gemacht, und wenn man ihn reden hört, hat man durchaus den Eindruck, er sei schnell.

Er ist ein schneller Redner, das stimmt. Aber ob immer schnell gehandelt wird? Es ist ja nicht nur die U-Bahn. Die Autobahn am Sachsendamm müßte auch viel schneller gebaut werden. Und der Autobahnausbau nach Neukölln muß unter allen Umständen und auf Biegen und Brechen kommen. Denn die Zustände dort, daß der Lkw-Verkehr durch die Wohnstraßen fährt, sind so skandalös, daß man das als Politiker gar nicht verantworten kann.

Aber aus Gründen des Umweltschutzes muß man gegen mehr Stadtautobahnen sein.

Ich habe ein Auto, das elektronisch den momentanen Benzinverbrauch anzeigt. Und wenn ich mit hundert Stundenkilometern durch die DDR rolle, verbraucht der Wagen 9,5 Liter. Und wenn ich auf der Entlastungsstraße im Berufsverkehr fahre, dann verbraucht der zwischen 40 und 50 Liter. Das heißt, das dümmste, was man tun kann, ist Stop -and-go-Verkehr zuzulassen, erst recht mitten im Tiergarten. Dieses Problem kann nur mit einer neuen Nord-Süd-Straße gelöst werden, egal wo und wie - und wenn sie unter dem Tiergarten durchgeht.

Sind Sie denn nicht der Meinung, daß schon wegen der Schadstoffbelastung der Individualverkehr reduziert werden muß?

Selbstverständlich, es kommt nur darauf an, mit welchen Mitteln. Und das kann man meiner Meinung nach nicht mit der Verkehrsstrangulierung, sondern da gibt es bessere Mittel, die derzeit in vielen Metropolen ausprobiert werden. In London wird überlegt, die Berechtigung, in die Innenstadt zu fahren, per Plakette zu verkaufen...

In Schweden muß sich der Autofahrer eine Monatskarte der U-Bahn an die Windschutzscheibe kleben.

Ja, das sind beides probate Mittel. Man kann auch die Parkplätze und Parkhäuser in der Innenstadt verteuern, das halte ich für sehr sinnvoll. In dem Moment vermindern Sie sehr den Reiz, mit dem Auto zu fahren. Es ist doch gar nicht verantwortbar von Politikern, heute noch rund um die Rathäuser kostenlos Riesenparkplätze für den öffentlichen Dienst anzubieten, so wie am Fehrbelliner Platz.

(Einwurf des Fotografen) Aber dann dürfen nur noch die Reichen ihre großen BMWs in der Innenstadt fahren. Das ist doch unsozial.

Da bin ich anderer Meinung. Und wenn alle fahren, das löst das Umweltproblem nicht.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man limitiert, wieviel jeder fahren darf, oder man regelt das über den Preis.

Ja, und mit Limitierung, das ist viel unsozialer. Dabei werden Leute, die den Wagen während ihrer Arbeitszeit brauchen, benachteiligt. Jemand, der nur zur Arbeit und zurück fährt, darf die Luft verpesten. Ist das etwa richtig? Und die Leute können ja mit der U-Bahn fahren. Wenn ich zum Rathaus Neukölln fahre, nehme ich auch die U-Bahn, da ist sich doch keiner zu schade für. In den Wohnanlagen kostet der Parkplatz achtzig Mark, und woanders parken die Leute umsonst. Das ist auch ungerecht. Wir sind uns doch einig, daß der Autoverkehr besonders umweltbelastend ist, und deshalb muß er Geld kosten.

Das heißt, Sie glauben, man sollte den Autoverkehr prinzipiell zurückschrauben, aber da, wo er nötig ist, muß er auch fließen können?

Ja. Wir brauchen ein leistungsfähiges Straßenverkehrsnetz auch für PKWs, die beruflich unterwegs sind. Da muß man die Schadstoffe mindern und das Autofahren verteuern, so daß sich jeder zwei-, dreimal überlegt, ob er den Wagen benutzt oder nicht.

Haben Sie den Eindruck, daß man sich in der Verkehrsverwaltung dieser Probleme bewußt ist?

Im Prinzip ja, aber es geschieht nicht schnell genug, nicht energisch genug und nicht unter betriebswirtschaftlichen Kriterien.

Und woran liegt das?

Da spielen vielleicht Mentalitätsprobleme bei der Verwaltung eine Rolle. Wenn sich in den Verwaltungen bestimmte Verfahrensweisen in Jahrzehnten entwickelt haben, sind die schwer zu ändern. Aber das muß man jetzt angesichts der veränderten Situation. Wir können nicht so tun, als könnte man in dem Tempo weiter Verkehrspolitik machen wie bisher.

Interview: Eva Schweitzer