Ein Überlebender

■ Nanni Balestrinis „Die Unsichtbaren“

Im Weismann Verlag erschien Nanni Balestrinis Roman Die Unsichtbaren, der von Pasquale Squittieri 1988 verfilmt worden ist. Balestrini, Mitbegründer der Dichtergruppe Novissimi, hat bereits Gedichtbände und Romane veröffentlicht. Er ist ein Überlebender. Das Wort scheint jenen nicht zu stark, die um die Wirksamkeit eines Fahndungsersuchens wissen, das Balestrini 1979 der Zugehörigkeit zu einer bewaffneten Bande bezichtigte. Fünf Jahre dauern die Ermittlungen. Balestrini, der nach Paris geflohen war, wird im Prozeß freigesprochen.

Mit dem Roman Die Unsichtbaren ist ihm gelungen, den strapazierten Begriff von der Unmittelbarkeit der Sprache nachdrücklich neu zu prägen. Anders als die linguistischen Bastelkünstler, deren Gewerbefleiß Literaturzeitschrifen zur voluminösen Erscheinung verhilft - ansonsten aber ohne Nährwert bleibt. Balestrini hat keinen Respekt vor der heiligen Syntax, und siehe da, so schnell kann's plötzlich werden. Eine schlanke, aller Interpunktion ledige Sprache drängt durch knappe Kapitel - jedes unterteilt in eine Handvoll kompakter, präzis gefaßter Abschnitte, Leerzeilen dazwischen als Mahnung, überm Lesen das Atmen nicht zu versäumen.

Es ist die Geschichte eines namenlosen Jungen in Italien, Ende der siebziger Jahre.

Balestrini wählt die intimste Form der Prosa, und so lassen wir uns vom ungetrübten Blick, vom Staunen des beinahe schüchternen Ich-Erzählers führen. Schulaufstand, Hausbesetzung, Demonstrationen. Die stramme KPI wird abgelehnt wie der bewaffnete Kampf, auch die Politfreaks bleiben außen vor. Zwischen illegalem und legalem Teror wird die liebenswert naive, renitente Bewegung aufgerieben. In den Gefängnistrakten gilt es, die Würde zu wahren, zu überleben. Woran viele Autoren scheiterten, das hat Balestrini mit scheinbar leichtem Griff zustande gebracht. Die authentische Darstellung nämlich des Kerkersystems. Die Unsichtbaren ist auch ein Knastroman, und doch viel mehr. Nicht Ödnis, Bitterkeit, Verzweiflung sind sein Thema. Wo er die Unausweichlichkeit des Zwingers aufweist, hat er die Brüche konzipiert. Melancholische Trümmerarbeit wird vermieden. Statt dessen nüchterne Bestandsaufnahme, dokumentarische Schärfe der Bilder: Das Gemetzel nach einer Knastrevolte, Kameradschaft, Verrat und Lynchjustiz. Zerschnittene Drahtnetze, durch Gitter geschobene Ölfunzeln: Flackernde Feuer an der schwarzen Gefängnismauer. Szenen am Ende eines wirklich heißen Buchs. Aber die könnten bereits der Beginn einer neuen Geschichte sein - wenn man so will.

Übertragen aus dem Italienischen von Renate Heimbucher -Bengs. Es paßt in die Manteltasche, läßt sich in der U-Bahn so gut lesen wie während der Bundestagsdebatte.

Norbert Jeschke

Nanni Balestrini: Die Unsichtbaren. Weismann-Verlag, 306 Seiten, 32 DM