Die Überlistung schadstoff-resistenter Wälder in der DDR

Der technischen Universität von Dresden war es fast gelungen, schwefeldioxidresistente Wälder anzusiedeln - da bläst von Westen her neuer giftiger Wind in die Baumkronen und verursacht schwere Vegetationsstörungen  ■  Von Kai Fabig

In einer von Roald Dahls schwarzhumorigen Geschichten ist ein Mensch damit geschlagen, die Lautäußerungen von Pflanzen hören zu können. Der Gang über einen Rasen wird für ihn akustisch unerträglich, die Schmerzensschreie, die ein Mähdreschermassaker auslöst, zerreißen ihm fast die Trommelfelle. Mit einem derartigen Gehör ausgestattet, würde sich wohl auch niemand in den Tharandter Forst, unweit von Dresden, wagen. Denn dort steigert sich das allgemeine Husten der Wälder zum entsetzlichen Röcheln.

Auf einer Lichtung im Wald betreibt die Technische Universität Dresden Rauchgasforschung. Was nach harmlosen Gewächshäuschen aussieht, sind in Wahrheit kleine Gaskammern. Reinste Luft wird produziert, um sie dann zu verpesten. Aktivkohlefilter holen alles aus der Luft heraus, was eigentlich nicht in sie hineingehört. Dann werden gezielt Schwefeldioxid, Fluor, Stickoxide, Ozon, Kohlenwasserstoffe oder eine Mischung dieser Schadstoffe zugesetzt. Computergesteuert werden Bäumchen in den kleinen Glaspalästen mit diesem Gas eingenebelt.

Das ist weniger spektakulär als Tierversuche, für die Versuchsobjekte jedoch fast immer genauso fatal. Wo die Nadeln noch am Ast sind, haben sie sich braun gefärbt. Einige Bäume allerdings überstehen die Begasung erstaunlich gut. Und das ist auch der Zweck der Übung: Herauszufinden, welche Baumart was am besten verträgt. Resistenzforschung statt Luftreinhaltepolitik - eine für den nun nicht mehr real existierenden Sozialismus typische Umweltperversion?

Professor Hans-Günther Dässler, Chef der Forschungsstelle, weist diesen Vorwurf verständlicherweise zurück. Zumindest historisch trifft er tatsächlich nicht zu. Denn in Tharandt steht gewissermaßen die Wiege der weltweiten Immissionsforschung. Schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts begann Adolf Stöckhardt, Leiter der damaligen „sächsischen Akademie für Forstwirtschaft“, mit den ersten Versuchen, nachdem in England in der unmittelbaren Umgebung von Industriebetrieben große Vegetationsschäden beobachtet worden waren.

Fast vor der Haustür der Tharandter Akademie existierte ein geeignetes Versuchsobjekt. Im nahegelegenen Freiberg blies ein großes Hüttenwerk jede Menge Dreck in die Luft - heute VEB Spurenmetalle. Dort wurde später auch die Politik der hohen Schornsteine erfunden. Anfang dieses Jahrhunderts ließ man die mit 142 Meter höchste Esse in Deutschland bauen, um die Schadstoffe besser zu verteilen und das unansehnliche Baumsterben nicht mehr auf die direkte Umgebung des Werkes zu beschränken.

Galt das Hauptinteresse der Forschung anfangs den giftigen Schwermetallen, die bei der Verhüttung von Erzen entweichen, so stellte sich schon bald heraus, daß Schwefeldioxid der größte Baumkiller war. Wenn heute von „klassischen Waldschäden“ durch Schwefeldioxidbelastung beziehungsweise durch den sauren Regen geredet wird, dann haben Stöckhardts Nachfolger von Schröder und Wislicenus dafür die wissenschaftlichen Grundlagen geliefert. An den Schäden änderte das nichts. Und so kam Dässler 1951 zu seinem heutigen Job. Als die Schornsteine in der DDR wieder zu rauchen begannen, nahmen umgehend auch die Waldschäden zu.

Die Prioritätensetzung zugunsten der Schwerindustrie in ganz Osteuropa hatte bald dramatische Folgen. Für die DDR wirkte sich insbesondere die Industrialisierung des böhmischen Beckens katastrophal aus. Schon Anfang der 60er Jahre fand sich in den Kammlagen des Erzgebirges kein gesunder Baum mehr. Großflächig ragten nur noch nackte Äste in den Himmel. Da kamen Dässler und seine KollegInnen zum Zug. Schnell wurde die heute noch bestehende Anlage im Tharandter Forst gebaut.

Was sich in den Gaskammern dort als besonders robust erwies, fand sich dann im Erzgebirge wieder. Omorikafichte, Blaufichte und Schwarzkiefer, außerdem Buche, Bergahorn und Eberesche ersetzen nach und nach die toten Fichtenbestände.

Wieder natürlicher Mischwald statt künstlicher Monokultur muß man da den Umweltverschmutzern nicht geradezu dankbar sein? Dässler will in die bereitgestellte Rolle des Umwelttechnokraten nicht hineinschlüpfen. „Unsere Aufgabe war es, Möglichkeiten zu schaffen, daß nicht größere Landstriche kahl werden“, so Dässler. „Das haben wir zum Glück in Ansätzen geschafft, aber jetzt ist die Industrie dran.“

Schließlich ist die DDR weiterhin der absolute Spitzenreiter beim Schwefeldioxidausstoß pro Kopf und Flächeneinheit und wird die internationale Verpflichtung, die Emission bis 1993 um 30 Prozent zu reduzieren, wohl kaum einhalten können. Sein Institut habe allerdings schon immer eine Senkung der Emissionen gefordert, sich damit jedoch nicht durchsetzen können, betont Dässler. Stattdessen wurde allerlei gefährlicher Unsinn getrieben, berichtet er und nennt ein Beispiel. Um Strom zu sparen, durften in Feriensiedlungen keine Elektroheizungen mehr eingebaut werden. Nun mußte dort mit der stark schwefelhaltigen Braunkohle geheizt werden, was bedeutete, daß die Schadstoffe auch in Gebiete und Lagen gelangten, wo sie bis dato nicht existierten.

Sorgte die DDR auf diese Weise für eine gerechtere Verteilung der klassischen Waldschäden im eigenen Land, so arbeiten sich von Westen her langsam neuartige Waldschäden vor. Sie werden durch sogenannte Photooxidantien hervorgerufen. Die hauptsächlich aus Autoabgasen stammenden Kohlenwasserstoffe und Stickoxide bilden unter Lichteinfluß Ozon und Peroxyacetylnitrat (PAN), die wiederum zu schweren Vegetationsschäden führen und beim Menschen vor allem Schleimhautreizungen hervorrufen.

In der weniger motorisierten DDR war dieses neue Waldsterben bisher fast unbekannt. Im Harz und im Thüringer Wald - an der Grenze zur BRD also - treten diese Schäden jetzt jedoch verstärkt auf. Unabhängig davon, ob man dies als ausgleichende Gerechtigkeit für die jahrzehntelangen Schwefeldioxidexporte der DDR in die BRD sieht, erledigt sich für Dässler dadurch die Frage nach der Züchtung resistenter Baumarten. Jene Bäume nämlich, die Schwefeldioxid besonders gut vertragen, können die Photooxidantien besonders schlecht ab. Bei verstärkter Motorisierung der DDR, die mit Sicherheit kommen wird, könnte das Erzgebirge also noch einmal entlaubt beziehungsweise entnadelt werden. Daran würden auch die immer wieder geforderten Atomkraftwerke als Ersatz für die Braunkohle nichts ändern.

Schlechte Aussichten für den DDR-Wald, der, glaubt man den offiziellen Statistiken, bisher nicht kränker sein soll als der bundesdeutsche. Für Menschen mit besonders feinem Gehör sind Waldspaziergänge also auch weiterhin nicht zu empfehlen.