Gesamtdeutschland in die Nato

Der sowjetische Starkommentator Alexander Bowin über die Perspektiven der Militärbündnisse: Jeder soll sich um seine eigenen Probleme kümmern  ■ I N T E R V I E W

taz: Auf der letzten Außenministersitzung des Warschauer Vertrages war nur noch die Sowjetunion gegen eine Nato -Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands. Gibt es einen Stimmungswechsel in dieser Frage auch in der SU?

Alexander Bowin: Zunächst mal: Was die Außenminister erklären, ist mir ziemlich gleichgültig. Meiner übrigens nicht neuen Meinung nach ist die Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands völlig unproblematisch. Eher könnten im Fall der Neutralität Deutschlands Probleme entstehen. Deutschland ist doch nicht Österreich oder die Schweiz nach der Vereinigung wäre es eine große Macht.Die Supermächte zur Rechten wie zur Linken würden versuchen, diese Macht auf ihre Seite zu ziehen. In den internationalen Beziehungen würden ständig Verdacht und Mißtrauen herrschen, auch im Innern Deutschlands. Neutralität ist deshalb hier keine Quelle der Stabilität. Falls die DDR dem Nato-Gebiet zugeschlagen würde, wäre die Frage zu stellen, was sich dann für die Sicherheit der SU ändern würde. Ich bin nur Leutnant der Armee, aber meine Antwort ist: nichts wird sich ändern. Vergleiche mit 1939 oder 1914 sind sinnlos. Als Chruschtschow einmal gefragt wurde, wieviele Atomraketen nötig seien, die BRD zu zerstören, antwortete er: Sieben. Das ist alles.

Das sowjetische Regierungsargument lautet, das internationale Kräftegleichgewicht würde gestört werden.

Dieses Gleichgewicht existiert nicht mehr. Was ist denn der Warschauer Pakt? Er sollte ein Bündnis von Bruderstaaten sein. Gibt es noch Brüder? Er sollte ein Bündnis auf einer gemeinsamen ideologischen und politischen Plattform sein gibt es diese Plattform noch? Rhetorische Fragen. Was bleibt ist das blanke Interesse. Darauf lassen sich wenig Gemeinsamkeiten aufbauen. Ob es den Warschauer Vertrag nun gibt oder nicht, spielt als Sicherheitsargument kaum eine Rolle. Das gleiche trifft übrigens auch auf die Nato zu. Die beiden Hauptspieler - die Sowjetunion und die USA bleiben.

Was wird aus den in der DDR stationierten sowjetischen Truppen?

Der Westen hat dazu Vorschläge gemacht, die diskussionswürdig sind. Das sowjetische Kontingent, das jenseits der Elbe verbleiben würde, hätte für mich eine rein symbolische Bedeutung. Die 300.000 US-Soldaten in der BRD sind natürlich mehr als ein Symbol, aber eigentlich haben sie auch nur die Bedeutung einer politischen Geste.

Aber der Viermächtestatus von Berlin kann doch die Vereinigung nicht überdauern?

Man muß diese Frage radikal lösen. Wenn Deutschland sich vereinigt, braucht es eine Hauptstadt - und die wird Berlin sein. Die bestehenden Abkommen und Rechte fallen dann weg.

Wenn sie verhandeln würden, welche Bedingungen würden Sie den westdeutschen Politikern stellen?

Ich bin kein Diplomat, rede also ohne Finessen. Das Prinzip, um das es geht, ist, daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen soll. Was braucht man, um dieses Prinzip durchzusetzen? Die Grenzen müssen garantiert werden, Deutschland muß einen atomwaffenfreien Status erhalten. Wenn ein Friedensvertrag abgeschlossen werden wird, müssen diese beiden Fragen geregelt werden.

Ist ein Friedensvertrag überhaupt nötig?

Ich glaube schon. Alle Mächte, die gegen Deutschland im 2.Weltkrieg gekämpft haben, sollten ihn mit dem vereinten Deutschland abschließen.

Kann die KSZE-Konferenz nicht auch diese Funktion übernehmen?

Man sollte die Lösung wählen, die größtmögliche Stabilität garantiert. Wenn wir von einem künftigen europäischen Deutschland ausgehen, bietet sich natürlich der europäische Rahmen an.

Was fühlen Sie angesichts des nahen Endes des Realsozialismus in der DDR?

Ich möchte meine Emotionen nicht darauf verschwenden, mir Sorgen über das zu machen, was in der DDR passiert. Dafür haben wir zu Hause allzu viele Probleme.

Kann die Sowjetunion angesichts der starken inneren Spannungen überhaupt eine konsistente Außenpolitik entwickeln?

Gerade wegen der extremen Instabilität bei uns zu Hause müssen wir eine stabile Außenpolitik betreiben. Die eine Instabilität darf nicht mit einer anderen multipliziert werden. Wir sollten gelassen sein, rational und ausgewogen. Wir sagen: Jeder soll sich um seine Probleme kümmern. Interview: Christian Semler un

Dimitri Tulschinsk