„Ich bin nicht Eigentum der AL“

■ Interview mit der zurückgetretenen AL-Fraktionschefin Heidi Bischoff-Pflanz zu den Hintergründen ihres Entschlusses / „Nur weil wir in der Regierungsverantwortung sind, sind wir nicht für jeden Mist verantwortlich, den die SPD produziert“

taz: War das wirklich ein spontaner Entschluß, auf der Vollversammlung den Rücktritt anzukündigen?

Heidi Bischoff-Pflanz: Ja. Den Entschluß habe ich während der Debatte um den Kita-Streik gefaßt, weil sich bei mir der Eindruck festsetzte, daß wieder mal zur Tagesordnung übergegangen werden sollte - ohne Diskussion, ohne Konsequenzen. Da wurde mir klar, daß, wie Micha Wendt (AL -Jugendstadtrat in Neukölln) das gesagt hatte, mehr passieren mußte als nur irgendwelche Verabschiedungen der VV.

Also auch Frustration über den Verlauf der Vollversammlung...

Die Frustration ist schon länger da, über die eigene Basis. Das hängt nicht nur mit dem Verlauf des Kita-Streiks zusammen. Das ist über das ganze Jahr angewachsen. Die Idee, den Kram hinzuschmeißen, ist ja auch schon anderen gekommen, weil es zum Teil eben schlimme Situationen in dieser Koalition gibt. Am Samstag hat allerdings etwas anderes den Ausschlag gegeben: das Wissen darum, was in nächster Zukunft auf diese Stadt und auch auf die AL zukommt - vor allem natürlich deutschlandpolitisch.

Warum hast Du vor der Bekanntgabe Deines Rücktritts mit keinem aus der Fraktion gesprochen?

Wenn ich das gemacht hätte, hätten alle versucht mich davon abzuhalten, was ich verstehen kann.

Es gab in der folgenden Debatte eine Diskussion darüber, ob das nun ein persönlicher oder politischer Entschluß war. Gehen wir mal von letzterem aus, worin liegt dann die politische Konsequenz für die AL? Im Bruch der Koalition? Schließlich ist Deine Person für das öffentliche Bild dieser Koalition nicht ganz unmaßgeblich.

Zu diesem Zeitpunkt kann man nicht sagen, das ist das Ende der Koalition. Dazu gehört nicht nur eine Person, sondern die gesamte Fraktion, die AL und auch eine ausführliche Diskussion um dieses Thema. Meine Wut und Enttäuschung resultiert auch daraus, daß diese Diskussion auch auf der letzten VV (bei der eine Bestandsaufnahme der Koalition stattfinden sollte, d. Red.) nicht gelaufen ist. Am Samstag waren erste Ansätze zu sehen, über meinen Entschluß zurückzutreten.

Es muß jetzt mal geklärt werden: Wo steht die AL in dieser Koalition, wo steht sie im Senat und wo steht sie außerhalb des Rathauses. Eben das ist nicht gelaufen, statt dessen hat so eine Art Selbstauflösungsprozeß der AL eingesetzt. Sie ist in vielen Bereichen einfach abgetaucht. Ich denke da an die ersten Kita-Demonstrationen, wo kaum ALerInnen zu sehen waren oder an die Mahnwache zum Tod von Mahmud Azhar, bei der ganze zwei AL-Mitglieder dabei waren.

Was waren die entscheidenden Konfliktpunkte in diesem Regierungsjahr - wo mußtet Ihr die dicksten Kröten schlucken?

Eine der dicksten Kröten ist für mich das Scheitern der Flüchtlingspolitik. Wir haben da unbestritten viel erreicht. Ohne uns hätte es viele Verbesserungen für ImmigrantInnen und Flüchtlinge nicht gegeben. Aber die Umsetzung dessen, was wir wollten, ist nicht passiert - statt dessen eine Sozialdemokratisierung der Politik. Ein anderer zentraler Konfliktpunkt liegt für mich darin, daß im sozialen Bereich keine Schwerpunkte gesetzt werden. Angefangen bei der katastrophalen Situation in der Altenpflege über ansteigende Obdachlosigkeit bis hin zur Situation in den Kitas. Bei allen Einschränkungen bezüglich der Finanzen und der Abhängigkeit vom Bund ist offenbar, die Diskussion um den sozialen Bereich muß für die AL zum Essential werden. Das muß die Sollbruchstelle der Koalition werden.

Wäre nicht gerade an diesem Punkt die Politikerin Bischoff-Pflanz enorm wichtig?

Da wird meine Rolle immer wieder überschätzt. Ich bin nicht unersetzbar. Außerdem höre ich ja nicht auf, in diesem Feld aktiv zu sein. In Zukunft habe ich dafür vielleicht sogar mehr Zeit und Kraft als jetzt in der Fraktion.

Gibt es neben den inhaltlichen Konflikten auch eine Chronologie der persönlichen „Zerrüttung“ mit dem Koalitionspartner?

Das persönliche Klima spielt da schon mit. Was vorigen Dienstag in der Senatssitzung passierte, als die SPD die Bezahlung von Eltern für Kinderbetreuung durchdrückte, war die Krönung einer langen Reihe von Niederlagen unserer Senatorinnen. Das Heft ist mittlerweile völlig in der Hand der SPD. Unsere Senatorinnen und ihre Einsprüche und Bedenken werden überhaupt nicht berücksichtigt. So geht's schlichtweg nicht. Über die beiden Fraktionen ist immer wieder versucht worden zu vermitteln oder zu kitten, aber die können auf die Dauer auch nicht alles auffangen. Ich hoffe, daß mein Schritt zurückzutreten auch in Richtung SPD ein Signal ist, daß man so mit der AL nicht umgehen kann.

In deiner eigenen Fraktion ist das Signal erst einmal mit Überraschung und Entsetzen aufgenommen worden. Die Kritik reichte vom subjektiven Verständnis bis zum Vorwurf der politischen Verantwortungslosigkeit...

Die Vorwürfe sind schon verständlich. Die sind berechtigt sauer. Andererseits bin ich nicht Eigentum der AL, sondern ein politisch denkender und handelnder Mensch gewesen und für viele wohl auch schwer einzuordnen. Für mich ist dieser Schritt nach wie vor richtig und ich bedauere ihn nicht.

Ist die AL mit ihrer bisherigen Struktur noch regierungsfähig?

Sie ist völlig überfordert.

Braucht die AL als Regierungspartei mehr außerparlamentarische Opposition - vor allem auch gegen sich selbst?

Klar. Opposition von draußen - ja. Aber nicht in der Form, wie es bisher oft gelaufen ist. Man hat die Opposition gegen die SPD an uns abgegeben und dann nur noch gemeckert. Nur weil wir in der Regierungsverantwortung sind, sind wir nicht für jeden Mist verantwortlich, den die SPD produziert. Ich will eine fundierte Opposition, nicht dieses „in der Ecke Stehen und Rummotzen“.

Es geht auch nicht an, daß viele SPDler ihren Frust gegenüber den Amtsträgern bei der AL abgegeben. Die klopfen uns dann auf die Schulter und loben „habt Ihr aber toll gemacht“. Zum Beispiel die Frage „Tarifvertrag für die ErzieherInnen“ - da waren eine ganze Menge in der SPD dafür. In dem Moment, wo die Spitze der Partei abblockt, wird auch unten abgeblockt. Der Streik wäre anders ausgegangen, wären es keine ErzieherInnen, sondern Lehrer. Das Scheitern des Streiks hat viel mit der Mißachtung dieses Berufs zu tun nach wie vor geistert in vielen Köpfen die Vorstellung herum: Kinder erziehen kann jeder.

In beiden Fraktion ist mit unterschiedlicher Klarheit Kritik am „Küchenkabinett“, bestehend aus Walter Momper, dem Direktor der Senatskanzlei Dieter Schröder und Senatspressesprecher Werner Kohlhoff geübt worden. Sind die überhaupt noch in eine mit den Fraktionen abgestimmte Politik einzubinden?

Ich befürchte, daß die momentan nur sehr schwer von den Fraktionen einzufangen sind. Da müßte vor allem innerhalb der SPD mehr laufen.

Was macht die ehemalige Abgeordnete Bischoff-Pflanz jetzt?

Beruflich geht sie wieder an Ihren Arbeitsplatz bei der Senatsverwaltung für Frauen, Familie und Jugend, Bereich Kindertagesstättenberatung. Das ist kein Witz, das habe ich auch vorher gemacht - und zwar sehr gerne. Das war eine sehr schöne Arbeit. Jetzt wird sie sehr schwer werden. Politisch werde ich mich auf den Bereich ImmigrantInnenpolitik hüben und drüben konzentriren.

Interview: Andrea Böhm und C. C. Malzahn