„Der helle Wahnsinn“ im Opel-Werk

■ Die Bochumer IG Metall will über 80 Gewerkschafter ausschließen, die auf Oppositionslisten kandidieren

Bundesweit werden derzeit neue Betriebsräte gewählt, morgen sollen die Belegschaften der Opel-Werke wählen gehen. Was sich dabei rund um den Opel-Betrieb Bochum abspielt, erinnert an vergangen geglaubte Zeiten: Gewerkschaftsausschlüsse stehen an.

„Ich kandidiere nicht gegen die IGMetall-Liste, ich kandidiere gegen die Leute, die da drauf sind.“ Ulli Hensen ist seit 18 Jahren Vertrauensmann für die IG Metall in den Bochumer Opel-Werken und noch länger Mitglied der Gewerkschaft. Aber für die morgen stattfindende Betriebsratswahl steht er nicht auf der IGM-Einheitsliste, sondern auf der Liste 3 für die „Metaller bei Opel“. Das hat dem kritischen Gewerkschafter Ende Februar ein Verfahren wegen „gewerkschaftsschädigenden Verhaltens“ eingebracht. Und nicht nur ihm. Über 80 Gewerkschafter bei Opel, die zu den Betriebsratswahlen nicht auf der IGM-Liste, sondern für die „Metaller“ oder eine der acht anderen Listen antreten, sind vom Gewerkschaftsausschluß bedroht.

Gekämpft worden ist in der Bochumer IG Metall schon immer. Aber selten mit so harten Bandagen wie im Vorfeld der jetzigen Betriebsratswahlen. Hans Reppel, Listenführer bei den „Metallern“: „Die 80 Leute bringen es zusammen auf 1350 Jahre Mitgliedschaft bei der IG Metall. Und nun sollen sie plötzlich die Chaoten sein!“

Reppel verfügt über langjährige Erfahrungen im Opel-Clinch. Als IG-Metaller hat er die kritische Betriebszeitung „Opel -Forum“ mitgegründet, und als Betriebsratsmitglied kämpft er mit einer 14-köpfigen Minderheit gegen den sozialpartnerschaftlichen Kurs der vom Betriebsratsvorsitzenden Rolf Breuer und dessen Stellvertreter Günter Perschke angeführten Betriebsratsmehrheit. Seit der letzten Wahl 1987 ist der Opel-Betriebsrat offiziell gespalten - die IG-Metaller auf beiden Seiten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Entgegen einschlägiger Beschlüsse der IGM, sagt Hans Reppel, habe die Betriebsratsmehrheit laufend Mehrarbeit und Sonntagsschichten zugestimmt. Selbst Auslagerungen einzelner Betriebsteile wie die Polsterei habe die Mehrheit abgesegnet. Mit einer Betriebsvereinbarung, die Urlaubskürzungen in der Energieabteilung vorsah, habe Betriebsratsvizechef Perschke gegen Bestimmungen des Manteltarifvertrags verstoßen - das Bochumer Arbeitsgericht bestätigte den Verstoß. Und schließlich: Die Zustimmung der Betriebsratsmehrheit am 18. Dezember letzten Jahres zur Dauernachtschicht erregte bundesweite Aufmerksamkeit. Noch auf dem Gewerkschaftstag im Oktober hatte der Betriebsratsvorsitzende Breuer dem entgegengesetzten Antrag der heimatlichen Bochumer IGM-Verwaltung zugestimmt, „mit aller Entschlossenheit gegen die Zunahme der Nachtarbeit“ zu kämpfen.

„Um gewerkschaftliche Positionen wieder wählbar zu machen“, initiierten Hans Reppel und die Leute von der Betriebszeitung „Opel-Forum“ im Spätsommer letzten Jahres eine Kampagne für die sogenannte Persönlichkeitswahl. Dabei wählen die Beschäftigten von einer Einheitsliste diejenigen Kandidaten in den Betriebsrat, zu denen sie Vertrauen haben. Nach diesem Verfahren wird in fast allen bundesdeutschen Betrieben gewählt. Anders bei Opel: Dort wählt die Belegschaft seit 1968 zwischen konkurrierenden Listen, die dann eine ihrem Stimmenanteil entsprechende Anzahl Kandidaten, darunter gleichermaßen populäre wie farblose, in den Betriebsrat schicken. Hans Reppel und seine Mitstreiter, durch ihre langjährigen Aktivitäten im Betrieb bekannt, rechneten sich bei einer Persönlichkeitswahl vor allem Stimmenzuwächse bei unzufriedenen IG Metall-Mitgliedern aus.

Auch für den Fall, daß die Persönlichkeitswahl nicht zustande kommen würde, hatten die Leute um das „Opel-Forum“ vorgesorgt: Mit einer Mehrheit der Vertrauensleute forderten sie den IGM-Vorstand auf, eine zweite IG Metall-Liste für die Betriebsratswahl 1990 zuzulassen. Sie verwiesen auf die Betriebsratswahlen im Rüsselsheimer Opel-Werk, in dem 1975 mit Zustimmung des IGM-Vorstandes zwei IG Metall-Listen gebildet worden waren. Der damalige Kandidat auf Platz 1 der oppositionellen Liste, Richard Heller, ist heute Gesamtbetriebsratsvorsitzender. Für die oppositionellen Gewerkschafter um Reppel war klar, daß sie nicht wieder, wie in den Jahren zuvor, auf der IGM-Liste kandidieren würden. Hans Reppel: „Wir wollten endlich einen Trennungsstrich ziehen und klare Verhältnisse schaffen. Für uns ist das eine Frage der Glaubwürdigkeit.“

Doch aus der Persönlichkeitswahl wurde nichts. Kurz vor Toresschluß reichte die „Christliche Metallarbeitervereinigung“ (CMV) am 22. Februar eine eigene Liste ein, alle anderen Gruppen mußten mit ihren Listen nachziehen. Unterdessen hatten IGM-Vorstand und die Bochumer Ortsverwaltung die Bildung einer zweiten IG Metall-Liste verboten. Als die Forum Opel-Leute dennoch ihre „Liste 3“ aus der Taufe hoben, stimmte die Ortsverwaltung dem Antrag des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Günter Perschke und seinem Mitstreiter Erich Achenbach zu, Verfahren wegen gewerkschaftsschädigenden Verhaltens einzuleiten. Sie belegte die aufmüpfigen Gewerkschafter mit Funktionsverboten. Aufgrund der Satzungsbestimmungen habe er keine andere Wahl gehabt, erklärte der Erste Ortsbevollmächtigte, Ludger Hinse.

In den Augen des „Forum Opel“ hat sich der örtliche IGM -Chef damit auf die Seite der Betriebsratsmehrheit um Perschke und Breuer geschlagen. Die Bochumer IG Metall, empören sich die Forum-Leute, betreibe nun selbst „Ausgrenzungspolitik“ gegenüber kritischen Gewerkschaftern: Auf rein formaler Ebene habe sie die von Franz Steinkühler vollmundig geforderte innergewerkschaftliche Diskussion abgewürgt.

Umgekehrt sind für Günter Perschke die Forum-Gewerkschafter nur noch Leute, „die zu allem nein sagen“. Durch ihre Weigerung, auf der IGM-Liste zu kandidieren und statt dessen „in einer dunklen Kneipe ihre eigene Liste zusammenzubasteln“, hätten sie sich selbst ausgegrenzt. Zwar bedeuteten die Verfahren gegen die Forum-Leute in den jetzigen Tarifauseinandersetzungen „durchaus eine Schwächung der IG-Metall. Aber deshalb lasse ich kein Unrecht zu. Bei Opel gibt es nur eine IG Metall-Liste!“

Unterdessen tobt im Werk der Wahlkampf. Während die Forum -Fraktion mit Info-Blättern, Wahlkampfzeitungen und Aufklebern gegen die Betriebsratsmehrheit wettert, kursieren, neben der offiziellen IGM-Zeitung, anonyme Flugblätter, in denen die aufmüpfigen Gewerkschafter als „linke Vögel“, „Ober-Spalter“ und „Schmarotzer“ bezeichnet werden. Den Kopierer haben die Forum-Leute jüngst mit einem Fahrradschloß an einen Pfeiler in ihrem Betriebsratszimmer gekettet, nachdem er „von denen“ abtransportiert und weggeschlossen worden war. Auch das Kabel hatten sie vorsichtshalber durchs Schloß gezogen. Einen Tag später war das Kabel abgekniffen.

Doch während in Bochum gekniffen und gestritten wird, ist vom Frankfurter IGM-Vorstand nichts zu hören. Den Beschwerdebrief der ausschlußbedrohten IG-Metaller beantwortete das Sekretariat Steinkühler Anfang letzter Woche mit dem Hinweis, man habe die Sache weiterverwiesen. „Die warten ab bis nach der Wahl“, vermutet Hans Reppel, der mit einem kräftigen Stimmenzuwachs für seine Liste rechnet. „Aber wenn sich hier im Betriebsrat die Mehrheiten tatsächlich ändern sollten“, fügt Ulli Hensen hinzu, „sind wir mächtig gespannt, ob sie die Verfahren gegen uns dann noch durchziehen.“

Bettina Markmeyer