„Ich hätte früher abgeschworen“

■ Interview mit Mario Adorf

Mit Mario Adorf, dem Hauptdarsteller in der Folge „Galileo Galilei“ der WDR-Reihe „Prozesse der Weltgeschichte“, sprachen wir über seine Erfahrungen mit der Rolle, ihrer Aktualität und möglichen Schlußfolgerungen.

taz: Herr Adorf, was ist für Sie die Schlußfolgerung des Falles Galileo Galilei für die heutige Zeit?

Mario Adorf: Erst einmal stehe ich wirklich auch hinter diesem Wunsch nach Rehabilitierung, wie ihn der Film zum Ausdruck bringt. Ich finde es unverständlich, daß es die noch nicht gibt. Die geschichtliche Wahrheit ist so klar so zutage liegend -, daß da der Vatikan sich ziert, einen Irrtum zuzugeben, ist mir unverständlich. Obwohl man es wiederum erklären kann, indem man sagt, daß sie sich das nicht leisten können. Oder weil sie die Notwendigkeit dazu gar nicht sehen. Das hat Herr Ratzinger sehr deutlich gemacht, der ja sagt, wir können keinen Prozeß machen über etwas, das sowieso überholt ist. Dann geben wir uns sozusagen nachträglich noch mal Unrecht. Und wenn die Kirche einmal ein Unrecht begangen hat, na gut, dann soll es so auch sein, aber auch bleiben und nicht noch einmal aufgerollt werden - das wäre masochistisch aus Sicht der Kirche. Das kann ich verstehen, aber ich persönlich empfinde anders.

Gibt es etwas, das Sie besonders gereizt hat an der Figur des Galilei?

Was mich sehr interessiert hat, war der Moment des Abschwörens. Wie würde man sich selbst verhalten? Wie würde man sich gegenüber Folter benehmen? Würde man in die Knie gehen, wäre man ein Held? Ich hätte wahrscheinlich schon ein bißchen früher abgeschworen, als Galilei es getan hat. Und es hat sich herausgestellt, daß es nicht eine entscheidende Schwäche war, sondern im Gegenteil eine außerordentlich intelligente, schlaue Entscheidung. Denn er hat dann genau das alles getan, was er nicht hätte tun dürfen. Er hat sogar im Ausland, in Holland, sein zweites Hauptwerk veröffentlicht. Man hätte ihn ohne weiteres dafür verdammen und auf den Scheiterhaufen schicken können. Das Risiko war da. Das ist für mich wichtig: daß Galilei gar nicht der klassische Feigling ist, derjenige, der abgeschworen hat, der nicht gestorben ist. Denn ein toter Galilei hätte der Wissenschaft überhaupt nichts genützt. Der mußte weiterschreiben, sein Werk vollenden. Das finde ich das Bewunderungswürdige und das Schöne an der Figur. Vor allem, weil es verbunden ist mit einem Menschen, der auch ein Lust -Mensch war, der das Leben liebte und trotzdem seine ungeheure Arbeit weitergetan hat.

Sie haben in diesem Film zwei Rollen gespielt. Hat das besondere Anforderungen gestellt?

Eigentlich nicht. Es war zwar die Frage, wie weit man sich in diesen beiden Rollen voneinander entfernen darf. Es sollte ja nicht eine Doppelrolle im normalen Sinne sein daß jemand sagt, jetzt spiel‘ ich den auch noch. Sondern da projiziert sich jemand in die Rolle des Galilei hinein . Dieser Filmemacher, den ich auch spiele, ist ja jemand, der einen Film über Galileo machen will. Und während er recherchiert, zum Beispiel die Prozeßszenen, setzt er sich selber ein, weil er sich eben den Galileo so vorstellt.

Interview: Manfred Kellner