Mehr Mitleid als Freude

■ Preisträgerkonzert der Landesausscheidung von „Jugend musiziert“

Radio Bremen bot die Plattform für das Preisträgerkonzert der Landesausscheidung Bremen 1989/90 des Wettbewerbes „Jugend musiziert“. Neben der kleinen Anzahl von Preisträgern im Alter von 8 Jahren bis 21 Jahren schillerte

-wie sollte es auch anders sein - vorrangig die große Anzahl geschmackvoll (bieder?) gekleideter Damen und Herren. Fast ausnahmslos darf man sie wohl den Mengen der Eltern, Verwandten und Musiklehrern zuzählen. Sie sind denn auch die eigentlichen Akteure der Verantstaltung: da reckt sich plötzlich ein Musiklehrer kerzengerade hoch - sein Zögling spielt! - und sackt danach mit befriedigtem Gesichtsausdruck wieder in den Stuhl. Eine Mutter, ohnehin (so gar nicht ganz passend) ein wenig verhärmt aussehend, schaut noch

ein wenig verhärmter drein, als ihre 8-oder 9-jähhrige Tochter auf die Bühne geht. Die Kleine geigt ein Violinkonzert von Vivaldi - „niedlich“ möchte man meinen, doch das trifft eher auf Hamster oder Wellensittiche zu. Berücksichtigt man die Zeit, die dieses Kind aufwenden mußte, um diesen Leistungsstand zu erreichen, dann stellen sich eher schmerzliche Assoziationen ein. Rückgerechnet auf die vorangegangenen ca. 2 - 4 Lebensjahre (ich hoffe, das tägliche Training war während dieses Lebensabschnittes entsprechend kürzer) ergibt das einen enormen Arbeitsaufwand. Da Kinder in den meisten Fällen wohl kaum zu motivieren sind, über einen längeren Zeitraum wenig einfallsreiche Etüden zu spielen, dürfte eben jener verhärmte Gesichtsausdruck

der Mutter gleichwohl etwas über ihr eigenes Engagement aussagen, mit dem sie ihre Tochter zu dem herangezogen (abgerichtet?) hat, was sie heute ist. Die Entspannung nach dem Auftritt war jedenfalls ungleich viel stärker auf der mütterlichen Seite zu finden, als bei der Kleinen. Von dieser Altersgruppe waren noch zwei - ja, was soll man sagen: Cellisten?, kleine Jungs mit einem großem Instrument? - Kinder vertreten, die selbstredend alle nicht besonders musikalisch spielten, aber zu einer Spekulation darüber veranlassen könnten, wieviel „tote Zeit“ in diesen kleinen Körpern bereits angehäuft ist. In den aufsteigenden Altersklassen beherrschte man bereits mehr oder weniger eindrucksvoll den „Auftritt“ und den „Abgang“, kurz all jenes Show

gehabe, das wahre Größe anzeigt. Am Rande angemerkt sei vielleicht, daß die „Gäste aus Rostock“ (Oboe und Klavier), die einzigen waren, die während ihres Auftrittes so standen, daß sie Blickkontakt hatten - ein unverzichtbares Konstituens für richtige Kammermusik. Allen anderen war dieser soziale Aspekt des Zusammenspielens offensichtlich unbekannt (und scheinbar den betroffenen Bremer Musiklehrern ebenfalls). „Deutsch-deutsch„-gesehen, könnten manche im Westen also doch aus dem Osten lernen. Jedenfalls kann man niemanden raten, zu einem Preisträgerkonzert von „Jugend musiziert“ (an dem auch die jüngsten Altersgruppen teilnehmen) zu gehen; man empfindet mehr Mitleid als Freude.

H. Schmidt