: WER SOLL DAS BEZAHLEN WER HAT DAS BESTELLT
■ Ein Gespräch mit den Ostberliner Museumsleuten Kurt Wernicke und Gerhard Quaas über die Perspektiven ihres Museums für Deutsche Geschichte im Zeughaus Unter den Linden
Kurt Wernicke ist stellvertretender Generaldirektor und Direktor für Öffentlichkeitsarbeit und war als solcher in Vertretung von Wolfgang Herbst zum Zeitpunkt des Gesprächs amtierender Generaldirektor des Museums für Deutsche Geschichte in Berlin, Hauptstadt der DDR. Von 1969 bis 1986 war Wernicke insbesondere beschäftigt mit der Geschichte der DDR. Gerhard Quaas ist stellvertretender Abteilungsdirektor der Abteilung Feudalismus und Fachmann für den Bestand Militaria, insbesondere Waffen.
taz: Auch Sie haben hier im Haus einen runden Tisch. Was besprechen Sie da?
Quaas: Das ist eine Plattform, die sich mit dem beschäftigt, was jetzt auf uns zukommt. Da sitzen die Leute, die Interesse daran haben, daß unser Haus erhalten bleibt: Wir haben ja 230 Mitarbeiter mit einem sehr hohen Bestand an Wissenschaftlern und fachlicher Erfahrung. Und da können wir die Entwicklung nicht einfach so dahinschleifen lassen. Das Schöne ist, daß jetzt auch Leute reden, die vorher wenig gesagt haben, und daß es mehrere kontroverse Meinungen gibt. Die Diskussionen sonst haben ja nur innerhalb der Abteilungen stattgefunden, wenn überhaupt. Und hier werden jetzt kritische Potenzen für das Vorwärtsdenken im Museum freigesetzt.
Zunächst haben Sie wohl sehr konkrete Probleme. Zum Beispiel, was die Magazinsituation betrifft.
Wernicke: Wir haben einfach zu wenig Raum. Die Objekte, die man bekommt, wenn man fast vierzig Jahre sammelt, werden immer umfangreicher und oft auch größer. Manches möchte man auch einfach ungerne wegwerfen. Wir als zentrales, ja nationales Museum für die deutsche Geschichte, haben uns jetzt zum Beispiel an die Grenztruppen der DDR gewandt, mit der Bitte um Segmente von der Mauer. Wir werden drei Segmente bekommen, bloß: die nehmen Platz ein. Aber wir würden uns natürlich in zwanzig Jahren ärgern wie verrückt, wenn wir nicht zugegriffen hätten. Oder: Das Ministerium für Staatssicherheit hatte einen Asservatenraum, der natürlich jetzt auch aufgelöst worden ist. Bevor die Objekte weggeworfen werden, haben wir uns darum gekümmert, und nun müssen die teilweise ganz schön großen Sachen ja irgendwo untergebracht werden.
Quaas: Wir sammeln ja auch perspektivisch: Dinge, die in 50 oder in 60 Jahren mit großen Schwierigkeiten zu finden sind. Natürlich konnten wir nicht vorausplanen, daß wir jetzt auf einmal all diese Objekte unterbringen müssen, wobei das von Bereich zu Bereich unterschiedlich ist. In der Militaria -Sammlung sieht es schon besser aus, da sind die Objekte nicht sooo groß.
Dabei müßten doch eigentlich zukünftig auch verschrottete Mittelstreckenraketen in der Militaria-Sammlung Platz finden.
Wernicke: Wir haben im Herbst 1989 von der NVA der DDR tatsächlich eines dieser abgeschweißten Rohre eines Panzers T 54 bekommen. Das liegt jetzt in einer zur Zeit geschlossenen Ausstellung, weil die Magazine überfüllt sind. Und dann besitzen wir noch aus dem alten Zeughausbestand wunderbare Geschütze, die nicht unbedingt als Waffen des Krieges der Nachwelt erhalten werden müssen, sondern als hervorragende Beispiele für großartige Gießerleistungen. Die zieren unseren Schlüter-Hof, den Innenhof des Museums, wo im Sommer Konzerte stattfinden. Und da sitzen die Leute mitten unter Kanonen.
In welcher Weise könnte sich der Regionalausschuß mit diesem Problem beschäftigen. Denken Sie vielleicht daran, für einen Teil Ihrer Sammlung im Westen Lagermöglichkeiten zu nutzen?
Wernicke: Nein, das würde ja auch Miete kosten. Aber wie man jetzt erfahren hat, war der Sicherheitsapparat im Besitz unzähliger Objekte, weshalb wir auch an den Oberbürgermeister geschrieben haben. Allerdings sei alles schon vergeben. Darauf könnte man zum Beispiel im Regionalausschuß aufmerksam machen. Ich kann mir aber vorstellen, daß hier noch gar nicht die richtige Flexibilität bei den administrativen Strukturen vorhanden ist. Das muß alles erst mal in einen Pool kommen: der heißt „Gewerbeabteilung“ und „Vergabe von Gewerberäumen“, und dann dauert das wer weiß wie lange. Nun liegen wohl auch eine Menge Anmeldungen von Firmen etc. vor. Und wir müssen versuchen, daß wir mit unseren kulturellen Belangen in diesem ganzen Umwälzungsprozeß nicht zu kurz kommen.
Wie beurteilen Sie generell die Perspektiven für Ihr Museum? Wie würde z.B. eine eventuelle Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum in West-Berlin aussehen? Sie kennen ja wahrscheinlich die Diskussion um dieses Museum.
Wernicke: Ich kann mir schon vorstellen, daß das Projekt von Aldo Rossi als architektonische Leistung anerkannt wird. Aber als Berliner würde ich sagen, daß dieser schon vorher umstrittene Standort am Platz der Republik, wenn Berlin Hauptstadt wird, wohl anderweitig gebraucht wird. Dennoch: Die Berechtigung für das Deutsche Historische Museum wird von unserer Seite nicht im geringsten in Zweifel gestellt. Wir sehen uns dort einem Kooperationspartner gegenüber, und wir kooperieren seit längerer Zeit - schon vor dem Oktober 89 - auf einer ganz vernünftigen Basis. Für uns gab es und gibt es deshalb keinen Grund, in die Diskussion gegen das Deutsche Historische Museum hineinzuspringen. Standort und Größe des Gebäudes sind allerdings eine ganz andere Frage.
Aber schon das Konzept impliziert doch, daß hier ein Museum mit einem Alleinvertretungsanspruch für die deutsche Geschichte entstehen soll. Das wäre also das Deutsche Historische Museum, und Sie zum Beispiel könnten dann mit Ihrer Sammlung einpacken.
Quaas: Nein, davon kann gar keine Rede sein. Daß das nun unsere Arbeit völlig in Frage stellen würde, wo wir hier schon 38 Jahre tätig sind. Aber wir machen uns natürlich auch Gedanken. Sie können von uns jetzt keine fertigen Konzepte erwarten. Die Zukunft läßt doch noch vieles offen. Wir wissen noch nicht, was in fünf Jahren sein wird, speziell auch, was unsere Beziehungen zu dem DHM angeht. Wir machen uns natürlich auch konkrete konzeptionelle Vorstellungen über die Möglichkeiten der Arbeit unter veränderten Bedingungen. Und aufgrund unserer vorhandenen Sammlung und mit dem Fachpersonal, das über Erfahrungen verfügt sowohl mit Ausstellungen als auch mit der Arbeit mit den Beständen, denke ich, daß wir doch einige Chancen haben.
Welche Art von Chancen sind das?
Wernicke: Gefragte Partner zu sein für eine sinnvolle Kooperation. Wobei ich mich nicht dazu auslassen will, wie das in der Endphase aussehen wird. Wenn ich das mal ganz primitiv sagen darf: Das Haus hier hat für einen Staat von 16 Millionen Einwohnern als nationales Geschichtsmuseum die normale Größenordnung. Aber für ein geeintes - egal ob konföderativ oder wie auch immer - Staatswesen in Mitteleuropa mit 70 bis 75 Millionen Einwohnern ist es als zentrales Geschichtsmuseum dann natürlich ein bißchen klein. Man kann sich also vorstellen, daß man sinnvoll miteinander kooperiert, indem man beispielsweise an einer bestimmten Stelle in der deutschen Geschichte sagt: bis dahin wird sie hier gezeigt und ab dann dort. Man muß nicht zwei Kolumbus -Ausstellungen zeigen, das wäre ja lächerlich. In diesem Sinne könnte man - noch viel enger als bisher kooperieren.
Etwa die Bismarck-Ausstellung des DHM in diesem Jahr wird von uns auch wieder mit Leihgaben unterstützt. Und für eine gegenseitige vertrauensvolle und nützliche Zusammenarbeit bringen wir einiges ein: umfangreiche Bestände, umfangreiche Erfahrungen in der Lagerung und Aufarbeitung der Bestände und vor allem Fachwissen aus 38 Jahren Arbeit an Objekten und Bestandsgruppen. Da kommt man jetzt schon aus aller Welt und fragt uns zum Beispiel, was die Echtheit von Objekten betrifft, um Rat.
Außerdem bringt das Museum für deutsche Geschichte in eine Gesamtberliner Museumslandschaft dieses Bauwerk ein. Das ist nicht so leicht zu ersetzen durch ein neues: Das schwitzt ja Geschichte; gebaut als Arsenal, ist es das einzige erhaltene weltliche Bauwerk des Hochbarock in Berlin mit einzigartigem barockem Schmuck; das einzige erhaltene Gebäude der ersten Berliner Stadterweiterung; mit diesen wunderbaren Köpfen der sterbenden Krieger von Andreas Schlüter. Und nicht nur Schlüter, sondern auch Schinkel und Schadow haben hier gearbeitet, sie haben das Gebäude nach 1813 wieder restauriert. Hier hat 1844 die erste deutsche Gewerbeausstellung stattgefunden, die das erste Werkzeichen für die industrielle Revolution in Deutschland war. Hier hat es 1848 konkrete Ereignisse gegeben, als das Volk die Revolution weiterbringen wollte: man hat das Arsenal gestürmt, um sich zu bewaffnen. Und hier hat es am 21.März 1943 einen der wenigen nachweisbaren Attentatsversuche gegen Hitler gegeben, den einzigen in Berlin. Mit dieser letzten Erkenntnis haben wir noch viel zuwenig gewuchert. Und schließlich bringen wir eine Lage ein, die fast unvergleichlich ist. Unter den Linden ist schon jetzt ein internationaler Boulevard. Deshalb haben wir eigentlich keine Sorge.
Sie benutzen immer das Wort einbringen...
Wernicke: ...in die Gesamtberliner Museenlandschaft. In Berlin und Potsdam gibt es 128 Museen. Und darunter einige, die bestimmend sind.
Ihres gehört sicher dazu. Fragt sich nur, ob das so bleiben wird. Wer soll in Zukunft in einem wie auch immer vereinigten Deutschland für ein Museum, in dem Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen dargestellt wird, noch eine müde Mark locker machen?
Wernicke: Uns sind die Defizite des Museums bis mindestens in die industrielle Revolution hinein - bis 1848 - schon bekannt. Seit Jahren diskutieren wir darüber. Zum Beispiel haben wir den Anteil der Slawen bei der Ethnogenese des deutschen Volkes völlig unterbewertet. Oder was die Reformation betrifft: da haben wir seit der Luther -Ausstellung 1983 sehr viel weitergehende Erkenntnisse, viel schöneres Material. Wir hatten Jahr für Jahr nur soundso viel Geld und soundso viel Baubudget bei diesem Riesenmonopol Deutsche Werbeagentur. Das ist das größte Monopol, das die Arbeiterklasse in Deutschland sich jemals selbst geschaffen hat durch eine Partei, die sich die Partei der Arbeiterklasse nannte, die das für uns bauausführen mußte. Durch eine Verordnung von 1971 mußte jede Ausstellung über dem Bauwert von 20.000 Mark zuerst der DEWAG angeboten werden. Die DEWAG hat aber einen Gemeinkostenzuschlag von 680 bis 800 Prozent, so daß man sich vorstellen kann, was die für einen riesigen Apparat damit finanziert haben.
Quaas: Das hat uns oft in Schwierigkeiten gebracht. Wenn wir größere Umänderungen planten, in die wir den Erkenntnisfortschritt in der Wissenschaft einarbeiten wollten, brauchten wir die DEWAG als unseren einzigen Partner in dieser Arbeit. Wir konnten nicht sagen: Ihr seid uns zu teuer. Außerdem waren die hauptsächlich auf Messebau eingestellt und wollten alles ganz anders als die Museumsleute haben, am liebsten alles nach einem System, dem Messesystem...
Wernicke: Das sind objektive Schwierigkeiten, die verhindert haben, daß wir unsere Erkenntnisse auch tatsächlich umsetzen konnten. Ganz deutlich wird das bei dem Abschnitt frühbürgerliche Revolution 1517 bis 1525. Was da dargestellt ist, das ist einfach dermaßen eingeengt und primitiv, mit schlechten Mitteln dargestellt, museumsdidaktisch auf den Kopf gestellt - die Bauern, die in der frühbürgerlichen Revolution unterlegen waren, sehen dort aus wie die Sieger das muß alles umgearbeitet werden. Das wissen wir seit Jahren. Aber an der grundsätzlichen Konzeption braucht sich da nichts zu ändern.
Aber ab der Revolution von 1848 ungefähr zeigt sich: wir haben als Institution der Geschichtswissenschaft und der Vermittlung vom Geschichtswissen natürlich keine eigene Geschichtsbildmontage betrieben, sondern wir haben das in der DDR verbreitete marxistisch-leninistische Geschichtsbild und die Methodik der Vermittlung von Geschichtswissen übernommen. Wenn es hieß: Die Revolution 1848/49 ist eine bürgerlich-demokratische Revolution, dann ist diese Diktion auch hier bei uns aufgetaucht. Das Geschichtsbild in der DDR war auf die Metapher von Kämpfer und Sieger ausgerichtet: seit die Arbeiterklasse entstanden ist, ist sie der Träger der Hoffnung für die neue klassenlose Gesellschaft, und es führt ein direkter Strom hin zur Verwirklichung der Idee von Karl Marx.
Und dieses Geschichtsbild, diese Einengung nur auf die Geschichte des revolutionären Teils der Arbeiterbewegung, die dann auch noch pragmatisch auf das Ziel der Gründung der DDR ausgerichtet wurde, ist dem Museum für deutsche Geschichte zugrunde gelegt. Wir haben an dieser Konzeption mitgearbeitet und sie umgesetzt für die Zeit seit der industriellen Revolution. Das ist für ein Museum, das der Ganzheit der deutschen Geschichte zugewandt ist, einfach zu eingeengt. Es gibt aber theoretische Vorarbeiten von Mitarbeitern des Museums, die sich mit Fragen der Lebensweise, Alltagskultur, Kulturgeschichte beschäftigt haben. Und da sind wir der Meinung, daß wir bei einer Umsetzung unserer theoretisch schon lange vorhandenen Erkenntnisse über ein Museum, das breiter alle Schichten einbezieht, das mehr auf Volkskunde achtet, das die Alltagsgeschichte mehr betont, die Aufarbeitung dieser Teile vornehmen müssen. Das kann man allerdings nicht von heute auf morgen.
Dennoch: Hat dieses „sozialistische Geschichtsmuseum“ ohne den Zusatz „sozialistisch“ in Zukunft noch eine Berechtigung neben einem Deutschen Historischen Museum West, dessen Daseinsberechtigung Sie ja ausdrücklich betonen? Das wären ja dann nur noch zwei Varianten zum selben Thema, die sich gegenseitig Konkurrenz machen - nicht, was die Sonderausstellungen betrifft -, sondern vor allem bei der ständigen Ausstellung. Sie machen ja offenbar schon Pläne für deren Veränderung. Aber je mehr Sie diese verändern, das heißt, je weniger Sie sie auf dem bisher herrschenden Geschichtsbild der DDR aufbauen, desto geringer wird Ihre Daseinsberechtigung. Das kann auch das DHM West mit seinen schier unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten übernehmen.
Quaas: Im Moment sind wir dabei, uns auf den Wandel einzustellen und darauf, daß bestimmte Erkenntnisse in der historischen Wissenschaft nicht als ewige Wahrheiten zu verkaufen, Fragen an die Geschichte neu zu formulieren sind. Es ist ja nicht so, daß wir einfach die neuen Konzeptionen aus dem Tischkasten ziehen müssen -, und dann geht das schon. Vorgedacht ist ja nur die Grundanlage, das Wissen, wohin man die Ausstellung verbreitern kann.
Sie sagen also einerseits: das DHM hat seine Berechtigung, und andererseits: wir aber auch?
Wernicke: Das DHM wird doch vor 1995 keinen eigenen Ausstellungsraum haben. Wir haben also etliche Jahre Zeit, unserem Museum in Abstimmung mit dem DHM neues Profil zu geben. Sie werden dann wahrscheinlich in unserem Museum Beiträge zu den Fragen Urgesellschaft, Feudalismus, Übergang zur Industriegesellschaft, Gesellschaftsformationstheorie als tragfähiges wissenschaftliches Konzept vorfinden. Davon werden wir kaum abgehen. Einzelne kleinere Kontroversen kann man auch durch kleinere Ausstellungen mitten in der Ausstellung durchaus darstellen. Das DHM hat auch Epochenräume und Vertiefungsräume usw., und wir können als Diskussionsebene zum Beispiel diese Etagen innerhalb der Ausstellung anbieten, die bisher leider noch nicht richtig angenommen werden. Damit könnten wir dem Museum ein eigenes unverwechselbares Gesicht geben. Aber natürlich ist für all das die Frage der Finanzierung nicht geklärt. Wenn bisher das Politbüro eine Ausstellung zum 100. Geburtstag von Ernst Thälmann beschlossen hatte, da interessierten die sich nicht dafür, was das kostete. Da stand in dem Beschluß: Verantwortlich für die Finanzierung: Ministerium für Hoch und Fachschulwesen und Ministerium für Finanzen. Das wird ja nun alles anders. Und wir müssen wohl natürlich Management lernen und Marketing und vielleicht mal einen Kurs für Public Relations besuchen - da fehlt uns ja jede Erfahrung.
Woher haben Sie bisher ihre Objekte bekommen?
Wernicke: In den fünfziger Jahren haben wir noch auf Auktionen gekauft. Damals haben wir, obwohl die DDR noch mit dem nackten Po in der Hose herumgelaufen ist, Valuta bekommen und konnten auch ins westliche Ausland zu Auktionen gehen. Damit haben wir dann aber aufgehört. Wir haben später hier alte Sammlungen aufgekauft. Manchmal haben wir auch Glück gehabt, da haben Familien mit klangvollen Namen alles gerettet und dem Museum verkauft. Und seit den siebziger Jahren hatte man den Eindruck, daß sehr viel mehr Geschichtsbewußtsein in der Bevölkerung entstanden ist, die Leute haben uns - aus Verantwortung vor dem kulturellen Erbe und weil wir einen Ruf und einen Namen haben - günstige Angebote gemacht. Wir kriegen beispielsweise ganze Wohnungseinrichtungen geschenkt, die wir gar nicht unterbringen können.
Quaas: Andererseits ist die Situation für die Museen in den letzten Jahren dadurch enorm erschwert worden, daß die Leute Dinge zwecks Wertsteigerung sammeln.
Im Westen beschweren sich einige kleinere Regionalmuseen darüber, daß das DHM mit seiner wahnsinnigen Kaufkraft die Preise verdirbt.
Wernicke: Das ist klar. Da spielt das DHM die Rolle, die bei uns VEB Antikhandel in der Mittag-Zeit gespielt hat.
Quaas: Ich bin zwar bei solchen Auktionen nie gewesen, habe aber gehört, daß selbst den vermögenden Museen das Sammeln erschwert wird, und zwar durch kommerzielle Privatsammler, die nie auftauchen. Das würde ich im Interesse unseres Partners in West-Berlin zurückweisen. Für die kleinen Museen ist es immer schwierig.
Auch Sie werden natürlich in die Rolle des kleineren und ärmeren reinrutschen. Ausgerechnet jetzt, wo Sie ihre Sammlung sicher noch erweitern müssen: Ich nehme an, daß Sie in Richtungen, in die Sie bisher nicht gedacht haben, auch nicht gesammelt haben.
Wernicke: Doch, alles was Alltags- und Kulturgeschichte angeht, haben wir fleißig gesammelt. Das Weggehen von diesem Auratischen und die Hinwendung zum Alltäglichen, dazu sind breite Ansätze da.
Wieso schließen Sie dann Ihre Ausstellung zur Geschichte der DDR für drei Jahre? Die Umgestaltung könnte doch viel schneller gehen, wenn Sie die Objekte schon haben.
Wernicke: Die Geschichte der DDR neu zu durchdenken, darf nicht so eilig geschehen. Die Zeit ist so schnelllebig. Es kann sich nicht darum handeln, diese Ausstellung zu überarbeiten. Viele Optionen sind möglich: die eine Option ist die, daß wir 1949 Schluß machen. Wir müssen der heutigen Generation doch klarmachen, wie es zu den beiden deutschen Staaten gekommen ist. Und da können wir, neben den deutschen Politikern, die da fleißig mitgemischt haben, den Besatzungsmächten nicht ganz die Verantwortung abnehmen. Wir können dann nicht nur die Geschichte der DDR allein darstellen. Das war eine tragfähige Konstruktion, solange man geglaubt hat, der Axen hätte da etwas ausgetüftelt, das eine gewisse Berechtigung hat, nämlich die Herausbildung einer eigenen mit einer nationalen Charakteristik versehenen Nation: So hatten wir den Abschnitt DDR angelegt, um dem DDR -Besucher klarzumachen, wo die Begriffe aus seiner täglichen sozialen und politischen Umwelt herkommen und wie diese sich allmählich geformt hat. Es hat ja nicht immer Jugendweihe, FDJ, Kampfgruppen, LPGs etc., den Sitz der DDR in der UNO und sieggewohnte DDR-Leistungssportler gegeben.
Die Frage war also Anfang der siebziger Jahre, als wir diesen Abschnitt erarbeitet haben: wo ist der Anfang? Wenn sich nun aber durch das Volk gezeigt hat, daß das zwar eine Konzeption, aber eben keine tragfähige war, dann ist es natürlich Unsinn, darauf eine Museumsausstellung aufzubauen. Ich könnte mir vorstellen, daß die vierzig Jahre Geschichte der beiden deutschen Staaten vielleicht sogar ein eigenes Museum erfordern. Eine andere Möglichkeit wäre vielleicht, die Ausstellung so, wie sie ist, stehen zu lassen, weil sie das Selbstverständnis einer politisch herrschenden Macht zum 40. Jahrestag der Existenz dieses Staates zum Ausdruck bringt.
Quaas: Zumindest sollte man die Ausstellung in Teilen erhalten. Wir wollen keinen Verdrängungsprozeß, indem wir das, was in diesen 40 Jahren passiert ist, einfach wegschieben, als ob es nicht geschehen wäre. Für die notwendige Aufarbeitung und die kritische Beschäftigung damit ist die Ausstellung von Bedeutung. In welchem Rahmen man das machen könnte, ist mir allerdings im Moment noch unklar.
Wernicke: Das ist auch ein räumliches Problem. Schon jetzt bräuchten wir für unsere Sonderausstellungen einen Sonderausstellungsraum. Damit das Foyer frei bleiben kann, bräuchten wir die Nordhalle, in der jetzt die DDR -Ausstellung ist.
Wenn sich die Geschichtsbilder nach und nach ohnehin angleichen, wäre es ja auch denkbar, daß das Deutsche Historische Museum den Teil bis 1945 übernimmt und das Museum für Deutsche Geschichte ein Museum für die 40 Jahre Geschichte der DDR wird. Und zwar mit allen bisher auch völlig vernachlässigten Aspekten. Die alte Ausstellung könnte dann ein Teil davon werden.
Quaas: Das hören wir hier nicht so gerne. Das kollidiert auch mit den Interessen der Mitarbeiter hier. Wer sich wie ich z.B. mit dem Feudalismus beschäftigt, hätte dann keinen Platz mehr.
Wernicke: Für eine solche Ausstellung sollte eher das Staatsratsgebäude zur Verfügung stehen als dieser Barockbau hier. Das paßt doch nicht zusammen.
Quaas: Man kann ja nicht einfach die Strukturen hier im Haus zerstören und nur noch DDR-Geschichte machen.
Könnten Sie sich vorstellen, auch in einem West-Museum zu arbeiten?
Quaas: Die Forschungen, die ich betreibe, haben internationalen Charakter, wir haben keinen Sonderbegriffsapparat. Problematischer wird das schon, wenn es um Fragen der Wertungen von Ereignissen geht. Aber auch hier muß man sich anderen Argumenten offen halten. Andererseits hänge ich persönlich so an der Sammlung hier, daß es sich von daher schon ausschlösse, woanders hinzugehen.
Was sind in allernächster Zeit Ihre wichtigsten konkreten Vorhaben, vor allem, was die Veränderungen der Ausstellung betrifft?
Wernicke: Die Initiatorengruppe der Demonstration am 4. November hatte zum Beispiel vor, eine Auswahl von Transparenten zu zeigen. Und wir haben uns schon im November sehr schnell darauf verständigt, daß wir das Haus dafür vom 12.April bis zum 25.Mai zur Verfügung stellen. Und zwar kommt diese Ausstellung als Kontrapunkt in den ständigen Museumsabschnitt zur Geschichte der DDR, der jetzt geschlossen ist. Außerdem planen wir eine Ausstellung, die wissenschaftlich Sensation machen wird: auf den Spuren des Urmenschen von Bilzingsleben. Danach wird es eine Ausstellung geben, die wir schon länger konzipiert hatten, wofür wir aber erst jetzt Geld bekommen haben: 1.000 Jahre deutsche Geschichte im Spiegel von Dokumenten, in Zusammenarbeit mit den Staatsarchiven der DDR und mit außergewöhnlichen Exponaten. Es gibt aber auch Ideen für kleinere Ausstellungen: zum Beispiel „Widerstand dem Vergessen“ oder eine kleine Ausstellung über die 50er Jahre. Dann haben wir ein Angebot aus Hamburg mit Flugschriften des kalten Krieges von beiden Seiten.
Durch diesen gesellschaftlichen Aufbruch haben sehr viele Leute wieder Stimme, die sich vorher nicht artikuliert haben, und die bringen sehr viele Vorschläge ein: zum Beispiel, daß wir von einer Westberliner Geschichtswerkstatt im August eine Ausstellung machen zur Frage „Was ist deutsch?“. Wir öffnen uns überhaupt linken und alternativen Gruppen, die in West-Berlin vielleicht nicht die Miete für Galerien bezahlen können. Sie müssen natürlich bestimmten wissenschaftlichen und ästhetischen Ansprüchen genügen. Auch wenn sich bei uns Geschichtswerkstätten bilden, kann man dem nur zustimmen. Schließlich ist am 31. Mai der 200. Jahrestag der Thronbesteigung des Alten Fritz. Und von dem haben wir hier einige Originalgegenstände - warum sollten wir da nicht eine Ausstellung machen?
Und wann beginnen Sie mit der Verbesserung der ständigen Ausstellung?
Wernicke: Das sind Geldfragen. Außerdem können wir keine fertigen Konzeptionen aus der Schublade ziehen. Als erstes steht an, daß im nächsten Jahr der Abschnitt 1945-49 neu bearbeitet wird, ohne daß wir ihn schließen. Danach kommt die Weimarer Republik. In den nächsten fünf Jahren ist zum Beispiel auch der Abschnitt Reformation zu überarbeiten, denn so wie er jetzt ist, kann man ihn nicht lassen. Aber man kann ja nicht an allen Ecken und Enden gleichzeitig arbeiten.
Quaas: Überall herumzustückeln, würde ja in Geschichtsklitterung enden.
Das Interview führte Gabriele Riedle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen