Der Runde Tisch regiert nun Rostock

■ Nach dem Rücktritt des alten Oberbürgermeisters Henning Schleiff setzte der Runde Tisch Christoph Kleemann vom Neuen Forum als neues Stadtoberhaupt ein / Schleiff wurde vorgeworfen, die Unterbringung von Stasi-Leuten im Schulbereich gedeckt zu haben

Berlin/Rostock (taz) - Unter dem Druck von anhaltenden Protesten und Aktionen, auch im Rathaus selbst, haben der Rostocker Oberbürgermeister Henning Schleiff und sein Bildungsschulrat Gustav Bendlin das Handtuch geworfen. Beiden hatten der Rostocker „Bürgerrat“ und die Mitglieder des örtlichen Runden Tisches vorgeworfen, ehemalige SED- und Stasi-Leute in den Schulbereich eingeschleust zu haben. Als neuen Oberbürgermeister setzten die Vertreter des Runden Tisches nun Christoph Kleemann vom Neuen Forum ein.

Nach wochenlangen Erklärungen hin und her und einer Demonstration am letzten Donnerstag „besetzte“ am Montag früh eine kleine Gruppe von Abgesandten des Runden Tisches mit Transparenten das Rathaus und kündigten eine unbefristete Demonstration gegen den Oberbürgermeister Henning Schleiff an. Am Nachmittag verkündete Schleiff seinen Rücktritt.

Am Dienstag morgen auf seiner ersten offiziellen Pressekonferenz konnte der neue Herr im Rathaus nur ankündigen, daß er in den sechs Wochen bis zur Kommunalwahl für demokratische Transparenz sorgen will.

Der Kontrollkommission des Runden Tisches, die nun mit 19 Personen im Rathaus sitzt und die Arbeit der verbleibenden Stadträte kontrollieren soll, ist auch ein wenig „ängstlich zumute“, erklärte eines ihrer Mitglieder, Frau Pulkemat. Denn „der Apparat, der hier funktioniert“, sei auch durch den Wechsel an der Spitze nicht schon erneuert. Immerhin haben die 17 Abteilungsleiter, die auf der Ebene unter den Stadträten die Verwaltung leiten, loyale Zusammenarbeit zugesagt und den neuen Bürgermeister akzeptiert. Die Rolle des Stadtschulrates soll ein Team von vier Pädagogen übernehmen.

Nach dem Rücktritt des OB fanden sich die Mitglieder des Runden Tisches, die aus Protest gegen die Hinhaltetaktik des Apparates ihre Arbeit vorübergehend eingestellt hatten, wieder zusammen.

Neben der Lehrereinstellung hatten in den letzten Tagen auch angebliche Geschäfte der Stadtverwaltung mit West -Firmen Unmut am Runden Tisch erregt. Die Stadtverwaltung soll eine Hamburger Firma ermächtigt haben, öffentliche Uhren in der Stadt aufzustellen. Die Einnahmen aus deren Werbeflächen sollten zu 100 Prozent der West-Firma zufließen. Gerüchte über Verträge mit Hotel- und Ladenketten will die Kommission des Runden Tisches überprüfen, wenn sie jetzt Zugang zu den Unterlagen bekommt.

Das Lehrerproblem indes hatte schon zwei Monate vor sich hingekokelt. Am Anfang, im Dezember, hatten Stadtschulrat Gustav Bendlin und Oberbürgermeister Henning Schleiff die etwa 100 Mitglieder des Rostocker Bürgerrats als basisdemokratisches Kontrollorgan des Rats der Stadt durchaus akzeptiert. Und als die Arbeitsgruppe im Januar zwei Briefe an 5.000 Rostocker Eltern und Schulen verschickte, in denen die Entstalinisierung und die Bildung von demokratischen Eltern-, Lehrer- und Schülerräten verlangt wurde, machte sich Bendlin letztere Forderung sogar zu eigen. Im Februar tauchten dann in den Schulen neue Lehrer auf, deren Alter und Verhalten Fragen nach ihrer pädagogischen Qualifikation erregten. Von der Arbeitsgruppe des Bürgerrats befragt, gab der Schulrat 27 Einstellungen aus „sensiblen Bereichen“ zu: vier Personen aus der früheren SED-Bezirksleitung, sechs aus der Kreisleitung, fünf aus der FDJ-Bezirksleitung, fünf aus dem Bereich Innenministerium/Volkspolizei, darunter ein ehemaliger Stasi -Mitarbeiter. Einige andere Bewerber wurden dafür abgewiesen.

Die Arbeitsgruppe informierte den Rat der Stadt und die Mitglieder des örtlichen Runden Tisches. Diese verlangten am 23. Februar den Rücktritt des Schulrats. Unter Druck bot Bendlin Rücktritt und Akteneinsicht an. Doch Anfang März mußte die mittlerweile aus drei Mitgliedern des Runden Tisches und der Arbeitsgruppe gebildete Untersuchungskommission erfahren, daß Bendlin weiter Lehrkräfte aus den „sensiblen Bereichen“ eingestellt hatte. Einen Monat lang stellt Oberbürgermeister Henning Schleif den Rücktritt des Schulrats in unmittelbare Aussicht, während dieser sich als Verteidiger von Schulspeisung und -hort und des bedrohten einfachen SED-Lehrers stilisierte und damit Unterstützung bis hin zum gewerkschaftlichen Warnstreik für sich mobilisierte. Zwei Tage vor der Volkskammerwahl, am 16. März, war's genug. Der Runde Tisch platzte. Seine 36 Vertreter erklärten ihre Arbeit aus Protest gegen den Nichtrücktritt Bendlins für beendet. Keine Gegenstimmen, vier Enthaltungen von PDS, DFD und Kulturbund. Die Mitglieder des Runden Tisches verlangten außerdem, daß Oberbürgermeister Hennig Schleiff die „politische Verantwortung für die Vorgänge übernimmt und zurücktritt“.

Am vergangenen Donnerstag abend folgten rund zehntausend Rostocker dem Aufruf des Runden Tisches und versammelten sich vor dem Rathaus, um den Rücktritt von Bendlin und Schleiff zu fordern. Dem sind beide nun nachgekommen.

Uta Stolle/ K.W./usche