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Einsame Rückkehr nach 50 Jahren

Jüdische Interbrigadisten trafen sich in Barcelona / Angst vorm Vergessenwerden / Das jüdische spanische Establishment hält Abstand / Denkmalenthüllung unter Schirmherrschaft von Willy Brandt  ■  Aus Barcelona Nikolas Marten

In einem abgelegenen Winkel auf dem Montjuic, dem Hausberg Barcelonas, schart sich eine kleine Menschenmenge um einen unförmigen dunklen Steinquader. Es regnet. Aus übergroßen Lautsprecherboxen ruft eine Stimme: „Der Himmel weint mit uns.“ Der Klang hallt von der aufgerissenen Bergwand, einem ehemaligen Steinbruch, als Echo zum Mittelmeer hinaus.

Mehr als fünfzig Jahre nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs sind 140 ehemalige jüdische Teilnehmer der „Internationalen Brigaden“, die gegen Franco an die Front gezogen waren, am vergangenen Wochenende nach Barcelona gekommen. Die belgische „Union der jüdischen Resistance“ hatte zur Hommage „an den heldenhaften Kampf der Juden gegen den Faschismus“ geladen. „Die Welt soll endlich einmal sehen, daß wir Juden uns nicht wie Schafe zur Schlachtbank haben führen lassen“, sagt Dov Liebermann, 80jähriger Kriegsveteran und Organisator. 7.000 „Spanienkämpfer“ waren Juden.

Ebenso hürdenreich war es, der Stadtverwaltung Barcelonas einen Denkmalsplatz abzutrotzen. Erst dank des Beistandes von Israels Präsident Chaim Herzog und von Willy Brandt kam das si. Das ursprünglich vier Meter große Monument mußte auf Weisung der städtischen Baubehörde halbiert werden, um Denkmäler heimischer Helden nicht zu überragen. Dazu wurde dem Marmor-Granit-Memorial mehr ein Versteck denn ein würdiger Platz zugewiesen. Nur wenige Besucher werden sich je dorthin verirren.

„Moralische Rehabilitation“ für ihr aktives Wirken an einem „Kampf für die richtige Sache“ ist es, die jene heute meist über 80jährigen zurück an den Ausgangspunkt ihres Brigadistenwirkens gebracht hat. Als Hitler im Juli 1936 in Berlin unter dem Banner des Hakenkreuzes zu seinem olympischen „Triumph des Willens“ lud, machten sich aus über 50 Ländern Tausende antifaschistische Sportler auf den Weg nach Barcelona, das zur „Arbeiter-(Gegen-)Olympiade“ gerufen hatte. Am 22.Juli sollten die Spiele im Stadion auf dem Montjuic beginnen - am 18.Juli hatte Franco geputscht. Einige Tage später rief der aus Belgien angereiste Dov Liebermann in Barcelona von einem Laster in Jiddisch zum Kampf gegen Francos Falange auf.

Die Angst, daß die jüdischen Heldentaten vergessen werden könnten, ist groß. So sahen sich die Veranstalter einer unerwarteten Opposition in Gestalt der 3.000 Seelen zählenden jüdischen Gemeinde Barcelonas gegenüber. Deren Präsident, Dr. Emergui, erklärte trocken: „Viele Glaubensbrüder und -schwestern haben unter Franco besser gelebt als unter dem Sozialisten Gonzalez.“ Die „Comunidad Judia“ befürchtete, als prorepublikanisch abgestempelt zu werden. Ein Gemeindemitglied: „Viele Antisemiten und mächtige alte Franquisten warten nur auf einen Anlaß, uns Probleme machen zu können.“

So war die Gemeinde trotz Bitten der belgischen Union nicht bereit, Unterkünfte zu stellen, geschweige denn zu spenden. Auch Dov Liebermann stellte erstaunt fest, daß „die Establishment-Juden uns richtig gemieden haben“. Signifikant auch, daß Kulturminister Jorge Semprun, selbst vier Jahre im KZ Buchenwald, wie auch der jüdische Justizminister Mugica Anfragen auf Grußadressen ignorierten.

Der katalanische Soziologe Jordi Esaich erklärt: „Die spanische Gesellschaft will heute vom Bürgerkrieg und seinen Ursachen nichts mehr wissen. Besonders die sozialistische Regierung von Felipe Gonzalez fürchtet nichts mehr als eine neue Polarisierung der Gesellschaft. Von diesem Empfinden wird auch die jüdische Gemeinde in Spanien getragen.“ 13 Jahre nach Ende der spanischen Diktatur heißt die Losung für Politik und Werbung „Zukunft“ Unter diesem Motto wird auch das magische Wendedatum 1992, von dem ganz Spanien wie paralysiert scheint, vermarktet: Olympia, Kolumbus‘ Amerikaentdeckung, Europas Binnenmarkt und vieles mehr. Kaum einer nimmt Notiz davon davon, daß sich dann auchzum fünfhundertsten Male die spanische Inquisiton jährt. Das könig- liche Vertreibungsedikt vom 31.März 1492, von Franco 1939 wiederbelebt, war der Beginn der systematischen Judenverfolgung. Alle Juden, sofern sie nicht zum Katholizismus konvertierten, mußten das Land verlassen. Besonders die reiche Handelsstadt Barcelona war Schauplatz unsäglicher Greuel. Schon im 13. Jahrhundert wurden sie auf dem Stadtberg mit dem altkatalanischen Namen Montjuic, auf deutsch „Judenberg“, wie Aussätzige gehalten; Tausende wurden lebend auf Scheiterhaufen verbrannt.

Am vergangenen Sonntag intonierte die vom Regen aufgeweichte Gruppe an eben der Stelle das jiddische Lied Du gehst den letzten Weg: die Hymne der jüdischen Interbrigaden. Niemand außer den Sängern selbst und der zerklüfteten Felswand hört die Stimmen. Bürgermeister Maragall hat abgesagt und seinen Sekretär delegiert. Spanische Presse fehlt ebenfalls. Grotesk das Bild der festlich rausgeputzten königlichen Ehrengarde, die - einst Feind - nun am Mahnmal Spalier steht. Auf Anfrage, warum sie dort stehen, erklärt einer der Hünen knapp: „Denken ist nicht unser Job.“ Währenddessen geht die Menge, viele bedrückt und mit Tränen in den Augen, auseinander.

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