Machiavellis Lachen

■ Giuseppe Prezzolinis „Das Leben Niccolo Machiavellis“

Ein Anhänger Mussolinis verfaßt 1927 die Vita di Niccolo Machiavelli Fiorentino - eine Konstellation, die nichts Gutes zu verheißen scheint. Nördlich der Alpen blieb das Buch unbekannt, obwohl eine Übersetzung bereits 1929 im „Widerstandsverlag“ des „Nationalbolschewiken“ Ernst Niekisch erschienen war. Sechzig Jahre später macht ein jüdischer Verleger das Buch wieder zugänglich.

„Unser Niccolo zählte zu jener Kategorie von Menschen, die auf i lachen. Sein Lachen ging vom Gesicht aus, nicht vom Bauche. Es entsprang, im Kopf, im Verstand, im Geist, in der Phantasie. Seine Rippen strafften und entspannten sich nicht, den Lungen Luft zufächelnd; sein Bauch hob und senkte sich nicht, die Eingeweide leicht zusammenpressend; sein Herz schlug nicht schneller, das Blut durch die prallen Adern pumpend. Aber sein Gesicht belebte sich, seine Augen blitzten, die Gesichtsmuskeln zuckten wie elektrisiert zusammen, und seine Luftröhre stieß mit dem schwachen Atemhauch zugleich ein leises Kichern aus. Es war ein ganz trockenes und dünnes Lachen, ein Grießpuderlachen, das klare Gegenteil des breiten und tiefen Nudellachens; des trillernden und langgedehnten Spaghettilachens; des abgerissenen Fleisch- und Reißklöschenlachens; des herzlichen und fadenziehenden Gerstenzuckerlachens, des breiigen und schalen Kürbissuppenlachens; des fröhlich dahinsprudelnden Weinfaßlachens.“

Spielend überbrückt Prezzolinis Einbildungskraft die fünfhundert Jahre, die uns von Machiavelli trennen. Sie rückt das Leben eines mittleren Staatsangstellten im Florenz der Renaissance so nah, als habe es sich gestern abgespielt. Der Verzicht auf eine historisierende oder angestrengt aktualisierende Erzählhaltung trägt dazu ebenso bei wie die Sprachsinnlichkeit des Übersetzers Theodor Lücke, dessen Arbeit in den sechzig Jahren seit der Erstveröffentlichung nichts an ihrer Frische eingebüßt hat.

Das schriftstellerische Werk Machiavellis nimmt in Prezzolinis Lebensgeschichte gerade so viel Raum ein, wie wohl tatsächlich im Leben des Autors und seiner Zeit. Prezzolini weiß, daß sich das Werk nicht aus dem Leben ableiten läßt und umgekehrt das Leben sich nicht im Werk erschöpft, daß sich beide aber wechselseitig beeinflussen. Sein Porträt des Intellektuellen Machiavelli gerät ihm deshalb nie zur körperlosen Idealgestalt, und der sinnliche Machiavelli seiner literarischen Phantasie wirkt nicht so, als sei er an der Hinterlassenschaft des politischen Denkers vorbeierfunden worden.

Die Frage, ob Machiavelli ein Machiavellist gewesen sei, Fürsprecher einer skrupellosen Politik des Machtstrebens, die alle moralischen Fesseln abgeworfen habe, verneint Prezzolini. Sein Machiavelli ist ein scharfsichtiger politischer Denker in subalterner Position, dessen Utopie eines geeinten, nach außen starken und innenpolitisch befriedeten Italiens an den politischen Realitäten scheitert. Seine Haßliebe gilt einem Volk, das ihm wegen seiner geistigen Überlegenheit und Unbestechlichkeit bei der Analyse der politischen Kräfte, seiner Spottlust, seiner Unabhängigkeit von den Ideologien der Zeit, insbesondere von der katholischen Kirche, die Anerkennung verweigert. Daß Prezzolini den Helden seiner Erzählung als einen von der politisch unreifen Nation verkannten Nationalisten darstellt, dürfte eine Spiegelung seiner eigenen Erfahrungen mit dem Faschismus italienischer Prägung sein. Ein deutscher Autor hätte diesen Konflikt eines unzeitgemäßen Intellektuellen, der vom Volk abgewiesen und zu politischer Untätigkeit verdammt wird, mit hohlem Pathos zu einer Nationaltragödie aufgeblasen und nicht unterlassen, die Seelenqual des Individuums in den düstersten Farben zu schildern. Prezzolinis Machiavelli bleibt ein Renaissancemensch, der sein geistiges Leiden in den Armen seiner vielen Geliebten und mit Hilfe der florentinischen Küche kuriert. „Er wollte seine Ölbäume und ihre Früchte nicht wegen irgendeiner günstigen Gelegenheit verlassen, die sich ihm bot; und trotz der Folter und Verbannung soll er einmal jemandem, der ihn aufforderte, nach Frankreich auszuwandern, die Antwort gegeben haben: 'Lieber in Florenz an einem Messerstich sterben als in Fontainebleau an einem Magenleiden.'“

Giuseppe Prezzolini, der 1882 geboren und hundert Jahre alt wurde, blieb es nicht erspart, von den sinnlichen Vergnügen Italiens zeitweilig Abschied zu nehmen. 1930 ging er ins wie er es nannte - „halbherzige Exil“ nach New York, wo er bis zum Kriegsende blieb. Sein kluges und witziges Machiavellibuch ist eine literatische Wiederentdeckung, die auf den hierzulande wenig bekannten Autor neugierig macht.

Michael Bienert

Giuseppe Prezzolini: Das Leben Niccolo Machiavellis. Literarische Annäherung an eine unzeitige, widersprüchliche politische Biographie, mit Holzstichen von A. Paul Weber, aus dem Italienischen von Theodor Lücke, Verlag: Das Arsenal, Berlin, 160 S., 26,80 DM