Der Oldie aus den 60er Jahren lebt: 4-2-4

Beim 1:0 gegen Brasilien läßt der englische Trainer Robson ein altes Spielsystem auferstehen / Lineker trifft  ■  P R E S S - S C H L A G

Erst mal roch die ganze Sache nach Markenfetischismus und Beutelschneiderei. Man nehme: Die alten Nobelmarken englischer Fußball (klar, kopfballstark und kampfkräftig), brasilianischer Fußball (verspielt, trickreich und verzaubernd) und Wembley (geschichtsgesättigt, überzeitlich) - und kassiere. Das billigste Ticket für die engen Sitzplatzreihen im neuerdings stehplatzlosen Stadion kosten knapp 30 Mark, aber auch das Zehnfache zu bezahlen war kein Problem.

„Es ist eine besondere Sorte Leute, die hier herkommen. Wir wollen England im besten Stadion der Welt gewinnen sehn.“ Dann schaute mein Tribünennachbar wieder auf den Rasen: „Besonders gut ist das bislang nicht.“

Viel war vorher über die zur Zeit vielleicht beste „Flügelzange“ der Welt zu lesen. Mit dem genialen John Barnes aus Liverpool auf der linken und dem genialischen Exilanten Chris Waddle aus Marseille auf der rechten Seite tauchte ein altes Spielsystem wieder aus der Versenkung auf. 4-2-4 heißt der Oldie aus den Sixties, den Bobby Robson, der britische Teamchef, wieder aufgelegt hat.

Peter Beardsly aus Liverpool und Garry Lineker, nach unzähligen Zusammenstößen mit Barcelonas Trainer Johan Cruyff bei Tottenham wieder gesundet, machen die Vier vorne komplett, die wirklich Anlaß zum Jubeln geben können. Kein Wunder, daß am einzigen Treffer in der 40. Minute drei von ihnen beteiligt waren: Ecke von links Beardsley, am Fünfmeterraum verlängert von Barnes und abgestaubt von Lineker.

Vorher war es im Stadion schon ganz still geworden. Unvorstellbar, wie wenige Geräusche 80.000 Zuschauer machen können. Nicht einmal ein Grundmurmeln war zu hören, so selten war der Supersturm wirklich gefährlich. Allein Barnes stürzte Leverkusens Jorginho und seine brasilianischen Mannschaftskameraden einige Male gehörig in Verwirrung.

Der Mann des Tages aber war ein Vetreidiger: Steward Pearce aus Nottingsham beendete ein fußballnationales Trauma. Noch immer löst Maradonas Tor, mit der Hand Gottes erzielt, kein freundliches Schmunzeln aus. Denn was für den Rest der Welt ein guter Lacher war, bedeutete für England das Aus bei der WM in Mexiko. Mitte der zweiten Halbzeit tauchte ein Brasilianer vor dem Tor auf, umspielte den Keeper und schoß: ein sicheres Tor. Mit letztem Einsatz aber schlug Pearse den Ball von der Linie - mit der Hand Gottes natürlich.

Schiedsrichter Klaus Peschel half und ließ im neu -ostzonalen Laissez-faire weiterspielen. Überhaupt war die deutsche Note im Spiel nicht zu übersehen, ist doch der vermeintliche Torschütze von seinen Eltern auf den Namen Gerd Müller getauft worden. Und das neue Wunderkind, ein 20jähriger Offensivspieler, hört auf ein zackiges Bismarck. Vielleicht ließ auch das die Brasilianer an Mittwoch abend weniger brasilianisch, sondern vielmehr europäisch-nüchtern erscheinen.

Auch wenn es bis zur Weltmeisterschaft im Italien einige Zeit hin ist und trotz der Niederlage von Wembley, die Südamerikaner sind wieder einmal Mitfavorit. Das möchte Bobby Robson mit seinem Team gerne sein. Gegen Brasilien konnte Bryan Robson, als Mittelfeldregisseur sein wichtigster Spieler - oder „General“, wie es hier heißt -, nicht mittun.

So bemühte der Coach Robson entspannt die Statistik: „Die Brasilianer waren vorher fünfzehn Spiele ungeschlagen. Jetzt sind wir seit der EM fünfzehn Spiele ungeschlagen. Ich weiß nicht, warum es nicht so weiter gehen sollte.“

Christoph Biermann