Beim Markttag in Ost-Berlin

Ein Freundschaftsspiel der DDR lockt westliche Aufkäufer an, die Fans bleiben zu Hause  ■  Von Michaela Schießl

Behäbig ging es zu, am Mittwoch früh auf der allerersten Trabpferdeauktion in der DDR: Man war unter sich. Kaum ein Westler hatte sich nach Berlin-Karlshorst verirrt, um für billige Ost-Mark einen eigenen Renner zu ersteigern. „Kein Wunder“, meint eine Mitarbeiterin, „drüben haben die viel besseres Pferdematerial.“

Völlig anders die Marktlage beim Fußball: Bessere, vor allem aber billige Qualitäts-Kicker sind in der BRD Mangelware. Gleichwohl ist dieses Produkt im Bruderstaat keinen Pfifferling mehr wert: Das Freundschaftsspiel gegen die USA in Ost-Berlin glich eher einem Totentanz als einem Prestigeduell. Kaum 4.000 Zuschauer verliefen sich auf den 20.000 Rängen des Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks. Das DDR -Fernsehen war zuhause geblieben. Und auf den Ehrenlogen, wo sich sonst die Häuptlinge der Armee- und Stasi-Klubs trafen, war kein Vereins-Offizieller auszumachen.

So gab es genügend Platz für die wahrlich interessierten Beobachter: Auffällig zwanglos und wie zufällig tummelten sich Trainer, Manager und Chefeinkäufer aus der halben Bundesliga auf der Ehrenloge, allesamt in bester Goldgräberstimmung. Milde lächelnd ließen sich die Fußball -Fachleute auf die bescheidenen Holzbänke nieder und genossen die Verkaufsschau: Unten auf dem Rasen warf der DDR -Fußball seine besten Früchtchen auf den Markt.

Von einem Klassenkampf nach altbewährtem Feindbild war nicht einmal ansatzweise etwas zu spüren. Die USA, im Gegensatz zum Gastgeber bei der WM-Endrunde in Italien dabei, kamen, um europäischen Fußball zu Üben und Lehrgeld zu bezahlen, so Trainer Bob Gansler. Mit direktem Spiel, einer starken Abwehrkette und kraftvollen Schüssen. Die DDR -Mannschaft probte, so wollte es Team-Coach Eduard Geyer, die optimale Aufstellung für die im September beginnende EM -Qualifikation.

Doch die Unsicherheit ob der Zukunft des ostdeutschen Fußballs ließ den Blick mancher Spieler statt zum fiktiven EM-Nationalteam auf die real existierende Bundesliga schweifen. Schon im Vorfeld wurde ein enormer Motivationsschub der Akteure hinsichtlich ihrer künftigen Verdienstmöglichkeiten ausgemacht.

Besonders wild entschlossen, Gnade vor den Augen der kaufkräftigen Beobachter zu finden, war der Dresdener Ulf Kirsten, obwohl er bereits mit Bochum einen Vorvertrag in der Tasche haben soll. Der temperamentvolle wie hübsche Stürmer verdrehte mit seiner Kampf- und Durchsetzungskraft und drei erzielten Toren Bochums Trainer Reinhard Saftig endgültig den Kopf: „Ich hoffe, daß der Vorvertrag juristisch gültig ist. Den Kirsten hätte ich nämlich gerne.“ Damit wäre der neben Neu-Leverkusener Thom hochkarätigste DDR-Angreifer sozusagen unter der Haube.

Bundesdeutsche Begeisterungsstürme löste auch Matthias Sammer im Mittelfeld aus. Und das nicht nur, weil er in Haarfarbe und Gestik so wunderbar zu Boris Becker und Dieter Thoma passen würde: Vielmehr brachten des Dresdeners „general overlook“, das genaue, schlaue Zuspiel und seine technischen und konditionellen Fähigkeiten die Augen der Aufkäufer zum Glänzen. „Von mir aus können die mich für ein Butterbrot haben“, schilderte Sammer seine Bereitschaft zum Wohnortwechsel. Allerdings hat der 22jährige vergangenen Sommer einen neuen Drei-Jahresvertrag bei seinem Verein unterschrieben, bei dem es „jedem halbwegs versierten Juristen die Haare aufstellt“.

So hofft er auf die Geldnot seines Klubs und die Notwendigkeit, ihn in die Bundesliga zu verkaufen. Potentielle Abnehmer gab es nach seiner gestrigen Vorstellung genügend: „Den Sammer würde ich sofort nehmen, wenn ich ihn kriegen würde. Aber ich krieg ihn ja nicht. Da hängt schon Stuttgart dran“, jammert Dortmunds Coach Horst Köppel. Und Rolf Rüßmann nickt zustimmend: „Da waren viele dabei, die in die Bundesliga taugen.“ Leverkusens Manager Rainer Calmund hingegen versprach der Konkurrenz heuchlerisch, nur aus Interesse da zu sein und nicht etwa einen Spielkameraden für Thom zu suchen. HSV-Trainer Gerd -Volker Schock und Düsseldorfs Manager Karl-Heinz Thielen überlegten sich derweil ihre Taktik.Uerdingens Rainer Bonhof erklärte sein Kommen so: „Ich gehe öfters zu Länderspielen.“

Auch Günther Netzer war vor Ort: „Viel zeigen konnten die DDR-Jungs ja nicht, dafür war der Gegner einfach zu schlecht. Aber Thom und Kirsten sind überzeugend. Enttäuscht bin ich eher von Rico Steinmann, von dem hatte ich mehr erwartet.“ Schade Rico, alea jacta est. Verspielt hat wohl auch Rainer Ernst vom FC Berlin, an dem das Spiel mehr oder minder spurlos vorüberzog.

Günther Netzer kam jedoch nicht zum schnöden Spielerkauf, ihn lockte ein anderer Kuchen: Für seinen Arbeitgeber Cäsar W. Lüthi, den Bandenkönig aus der Schweiz, hatte er bereits die Vermarktungsrechte für Bandenwerbung und Fernsehübertragung von acht DDR-Oberliagavereinen ausgehandelt. Nur Dresden, Rostock und Karl-Marx-Stadt entglitt ihm und wurde von der Ufa-Filmgesellschaft ersteigert.

Der ostdeutsche Fußball, so hat man den Eindruck, stellt sich trotz des 3:2-Sieges über die USA schon jetzt tot. „Wer kommt denn noch zu einem Spiel, wenn die besten zehn Spieler verkauft sind“, höhnt der ehemalige DDR-Nationalspieler Joachim Streich. Team-Coach Geyer war beleidigt, daß sich noch nicht einmal ein Verbandsfunktionär zum Länderspiel sehen ließ. „Wir müssen die EM doch durchspielen, mit Mann und Maus. Da brauchen wir doch Unterstützung.“

Ob sich beim Verbandstag des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) am kommenden Samstag Entscheidendes tut, weiß keiner so recht. Das Statement von Pressesprecher Jörg Neubauer ist symptomatisch: „Ob er platzt, weiß ich nicht. Auf jeden Fall wird er beginnen.“ Auf der Tagungsordnung steht die Wahl eines Präsidiums, die Schaffung eines Lizenzspielerstatuts, eine neue Spiel- und Rechtsverordnung. Zudem soll ab dem 15. April eine Transferliste veröffentlicht werden.

Nach dem Verbandstag wird man weitersehen. Nur 50 der 400 stimmberechtigten Vereinen haben sogenannte Nicht-Amateure in ihren Reihen. Die anstehenden Entscheidungen sind von daher gesehen kein Selbstgänger. Doch Geyer ist pessimistisch: „Viele glauben, daß der DDR-Fußball ohnehin nur noch bis zum Sommer existiert.“