1. April in der DDR: Gedämpfter „big bang“

Ab nächste Woche bekommt die andere deutsche Republik nagelneues Bankensystem / Der Monopolist Staatsbank hat seine Schuldigkeit getan - er kann gehen / Viele Unklarheiten auf dem Weg zum West-Vorbild / Demnächst erhält die DDR auch ihren eigenen Diskontsatz / Die Banken sind frei - wer kann sie beraten?  ■  Von Ulli Kulke

„Zweimal werden wir noch wach, heißa, dann ist Reibach-Tag!“ darf die Bankerbranche in der DDR heute singen, wenn auch vorerst noch ganz leise. Das dicke Geld im Gebiet der heutigen DDR dürften in nicht allzuferner Zukunft die Banken aus Frankfurt am Main machen. Immerhin, es darf nun verdient werden: Mit Wirkung vom 1. April wird ein Geschäftsbankensystem aufgebaut, das seine Angebote und Nachfragen an Geld munter nach dem Konkurrenzverhältnis im Lande - und, wenn's geht, auch außerhalb - ausrichten darf und soll. Wichtigster Einschnitt: Die Staatsbank wird radikal auseinandergenommen.

Bislang war dieses finstere Gebäude in der Ostberliner Charlottenstraße inhaltlich eine Mischung aus Ministerium, Druckereibetrieb für 1-A-Geldscheine, Instrument zur allumfassenden Allokation ökonomischer Ressourcen - sprich: der wirtschaftliche Lenkungsapparat. Ganz nebenbei ging diese Institution auch noch dem Bankengeschäft nach. Dabei war sie allerdings in der komfortablen Situation, die Einlagen der sparsamen DDR-Bürger nicht selbst einsammeln zu müssen. Das erledigten Genossenschaftsbanken, Sparkassen und andere Geldinstitute für sie.

Die Richtung des finanziellen Umbaus ist nun klar: In Vorbereitung des Großen und Ganzen wird sich alles am westdeutschen Muster mit viel Wert ausrichten. Was aber wie und vor allem wann laufen soll, liegt noch im Stockfinstern. Staatsbankpräsident Horst Kaminsky jedenfalls könnte in der Nacht zum Montag von einem Alptraum geplagt sein: Stell dir vor, der kredithungrige Direktor irgendeiner neuen Kapitalgesellschaft geht frohgemut zu den örtlichen Banken, und keine hat Geld. Woher nehmen und nicht stehlen?, lautet dann die Frage für die armen Filialleiter, denn die „Refinanzierung“ der Banken in der DDR, also die Ausstattung der kommerziellen oder Geschäftsbanken mit Geld durch die neue Zentral- oder Notenbank, gehörte ganze zwei Tage vor dem Wirksamwerden der großen Bankenreform noch zu den großen Unbekannten. Kein Wunder also, daß manch ein Angehöriger der vielen neuen Büros bundesdeutscher Banken in der DDR sich am Freitag noch nicht einmal sicher war, daß am Montag tatsächlich der marktwirtschaftliche big bang das alte Bankensystems der DDR knackt.

In den westlichen Ländern sind die Zentralbanken entweder völlig oder bedingt unabhängig von den Regierungen. In der Bundesrepublik etwa zeigt der bisweilen etwas ungehaltene Ton aus Bonn über zu knausrige Geldpolitik in Frankfurt, daß der Bundesregierung bei der Beeinflussung der Zentralbank Grenzen gesetzt sind. Die Autonomie soll verhindern, daß die großen Gold- und anderen Schätze im Keller des Hauses des Präsidenten Pöhl und vor allem die verführerisch glänzende Notenpresse im Nebengemach keine allzugroßen Begierden beim Bundesfinanzminister wecken.

Zu einfach wäre es sonst für die jeweiligen Regierungen, populäre Projekte mit Wechseln auf die Zukunft zu finanzieren: „Geldschöpfen“ unter Inkaufnahme später davongaloppierender Inflationsraten. Auch sonst sollte die Administration zu solidem Finanzgebahren verdonnert werden und die Entwicklung der D-Mark nicht in den Dienst kurzfristiger Opportunitäten - etwa im Wahlkampf - stellen.

In der DDR dagegen gab's über die Weisungszuständigkeit der Organe keine Zweifel: Der Präsident der Staatsbank war stets gleichzeitig Mitglied des Ministerrates und den Anordnungen sowohl der Regierung als auch des Politbüros unterworfen. Die Kredit- und Geldpolitik wurde vom Ministerrat nach entsprechenden Beschlüssen im Politbüro der SED festgelegt. Letztendlich mußte so der Staatsbankpräsident dafür Sorge tragen, daß völlig unwirtschaftliche Chemie- oder sonstige Kombinate mit Millionenkrediten versorgt wurden, wenn Wirtschaftspolitbürokrat Günter Mittag das in seinen Plankram paßte - auch wenn sich einem jedem Banker dabei die Nackenhaare sträubten.

Geld für „Friedrich Engels“

Der Weg der Ostmark lautete also: Die Bürger liefern ihre überschüssigen Gelder bei den Sparkassen zum Zinssatz von 3,25 ab. Die wiederum überlassen es der Staatsbank zu vier Prozent. Von der Staatsbank konnten sich dann die Kombinate den Einkauf von Grundmitteln etwa zu fünf Prozent kreditieren lassen. Sollte jemand für den geplanten Einkauf eines Trabants oder eine Anlage aus dem „Fernsehgerätewerk Friedrich Engels“ nicht flüssig sein, so gab ihm der Geldmoloch der Republik einen Teilzahlungskredit von 6 Prozent.

Für die Produktionskredite gab es keine nennenswerte Effizienzprüfung - und wenn, dann nicht durch die Bank, sondern durch das zuständige Industrieministerium. Und schon gar nicht mußten hier die Unternehmen gegeneinander konkurrieren. Aber auch die Staatsbank brauchte keinen Konkurrenten zu fürchten, der ihre kredithungrigen Schäfchen plötzlich zu günstigeren Konditionen mit „M“ versorgte. Das soll nun alles anders werden.

Als Staatsbank der DDR wird künftig nur noch das übrigbleiben, was man gemeinhin als Notenbank bezeichnet: eine Zentralbank, die für die Stabilität des Geldwertes sorgen soll und nur indirekt - über ihre Geldversorgung der Geschäftsbanken und die Bedingungen dafür - die Wirtschaft beeinflußt.

Ausgegliedert aus der Staatsbank wird der bisherige Geschäftsbankenbereich, wenn man ihn so bezeichnen mochte. Der heißt nun „Deutsche Kreditbank AG“ und darf beziehungsweise muß ab sofort mit den anderen Bankengruppen konkurrieren, was sowohl die Akquisition von Spareinlagen als auch den Abfluß der Gelder an Kreditbedürftige angeht.

Was wird abgekupfert?

Wie das Verhältnis zwischen der Staatsbank einerseits und der Kreditbank samt ihren Konkurrenzinstituten andererseits im einzelnen gestaltet werden soll, steht allerdings bislang nur sehr vage fest. Staatsbankpräsident Kaminsky: „Wir gestalten in der DDR ein neues Bankensystem, das wichtige Erfahrungen und Gesichtspunkte westlicher Banken, insbesondere der Bundesrepublik berücksichtigt, aber auch Eigenes einbringt.“ Welche der Instrumente abgekupfert werden, mit denen die Frankfurter Bundesbank versucht, die Geschäftsbanken mit der gerade richtigen Menge Geldes auszustatten, stand nach Auskunft aus der Staatsbank noch am Freitag nicht fest: „Die Herren reden noch“, hieß es. Ob also demnächst die Ostberliner Zentralbank an DDR-Diskont oder Lombardsätzen („Leitzins“) drehen kann, zu dem sie, mal billiger und mal teurer, Gelder an die Geschäftsbanken ausleihen kann, steht ebensowenig fest wie der Einsatz anderer Instrumente, mit denen das im Umlauf befindliche Geld verknappt oder vermehrt wird: etwa variable Rediskontkontingente, die festlegen, wieviel Kredite die Banken sich überhaupt bei ihrer Zentralbank gegen Hinterlegung diskont- oder lombardfähiger Wechsel beziehungsweise Wertpapiere holen können. Ein wichtiger Hebel, mit dem die Bundesbank operiert, dürfte in Ost-Berlin erst mal zweitrangig bleiben: Die „Offenmarktpolitik“, die Teilnahme der Behörde Bundesbank am freien Kapitalmarkt. Kraft ihrer ungeheuren finanziellen Potenz kann sie durch An - und Verkauf diverser Wertpapiere deren Kurse beeinflussen und Gelder unter die Leute streuen oder wieder einkassieren. So schnell dürfte der Wertpapiermarkt der DDR kein vergleichbares Volumen erreichen. Die Wertpapierbörse steht noch nicht.

Turbulenzen könnten aber auch das Konkurrenzgefüge der neuen Branche bringen, hatten doch die Banken bisher jeweils nur einarmig operiert: Die Staatsbank und jetzige Nachfolgerin „Kreditbank“ mußte sich nicht darum kümmern, wie die Gelder hereinkommen. Kein Sparer durfte zur Staatsbank gehen, er wurde an die anderen Institute verwiesen, die dann ihrerseits alle Eingänge an die Staatsbank ablieferten. Das heißt allerdings auch, daß die Sparkassen, Genossenschafts- und Landwirtschaftsbanken keinerlei Gedanken darauf verwenden mußten, wo sie die Gelder unterbringen.

Wenn nun aber wie angekündigt jede Bank voll in alle Geschäftsbereiche einsteigen darf, so müßte der Leiter der Sparkasse der Stadt Berlin sofort gefeuert werden, wenn er weiterhin die eingehenden Gelder zu vier Prozent an die Staatsbank abliefert, anstatt sie direkt als fünfprozentigen Grundmittelkredit an die Wirtschaft oder noch besser als sechsprozentigen Teilzahlungskredit unter die Leute zu bringen. Die Sparkasse könnte ja auch dem Gewerbe nun einfach günstigere Kreditkonditionen bieten. Muß die Staatsbank daher um ihren Kreditabsatz fürchten?

Eine Trumpfkarte hat die neue Deutsche Kreditbank allerdings in der Hand. Durch ihr bisheriges Monopol der Kreditvergabe an die Industriekombinate mit entsprechender heutiger Verschuldung hat sie den größten Teil der DDR -Wirtschaft in ihrer Abhängigkeit. Diese Abhängigkeit dürfte sich durch die Wirtschafts- und Währungsunion und die daraus resultierenden Schwierigkeiten der Betriebe eher noch erhöhen. Das heißt, die alte Geschäftspartnerschaft „wird auch in nächster Zeit noch so sein müssen“, erwartete der neue Kreditbank-Chef Edgar Most in einem 'Zeit'-Interview: Die alten Kredite „müssen erst mal zurückgezahlt oder wenigstens der Schuldendienst dauerhaft erwirtschaftet werden“. Damit deutete Most indirekt an, daß er nicht gewillt ist, die Trumpfkarte zum Erhalt seiner Kundschaft ohne weiteres aufzugeben.

Die Trumpfkarte brennt freilich, andersherum gesehen, auch als Lusche auf der Hand. Most muß eingestehen, daß nach der Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion sein Haus als eine Rechtsnachfolgerin der Staatsbank zumindest einen Teil der Ordner voller notleidender Kreditforderungen an die Unternehmen zwischen Kap Arkona und Zittau zu übernehmen hat. Die Wirtschaft des Landes ist immerhin mit satten 260 Milliarden Mark verschuldet, und die Schuldenlast wird schwerer, wenn sie aus harter D-Mark statt aus Leichtmetallgeld besteht.

Darin dürfte der Grund liegen, daß die bundesdeutschen Banken ihre potentielle Beute beim allgemeinen Übernahmefieber noch mit äußerster Vorsicht betrachten. Keine will sich in die Gefahr begeben, eines Tages den Schuldenberg einer Republik am Bein zu haben. Die Dresdner Bank erklärt, daß sie den Bankenbetrieb erst mal mit eigenen Filialen aufnehmen wolle, und Hilmar Kopper, Chef der Deutschen Bank, meinte am Donnerstag, daß man sich „schon aus Bonitätsgründen“ nicht auf ein Joint-venture einlassen könne, obwohl damit auch 200 Filialstandorte winken. Dennoch halten sich die Einstiegsgerüchte hartnäckig.

Bankomobil

Mit einem Schlag wäre die Deutsche Bank damit jedenfalls im Wettrennen der drei Frankfurter Großbanken an der Spitze. Gewetteifert wird derzeit um die schlichte Präsenz im Lande, eine Filiale nach der anderen wird gegründet. Die Dresdner gab den Startschuß - selbstverständlich in Dresden - und lädt mittlerweile in sieben Städten zum freundlichen Beratungsgespräch. Die Deutsche Bank zog etwas später nach, zählt aber inzwischen zehn „Teams“ und plant sieben weitere, und die kleinste, die Commerzbank, wittert hier die Chance, endlich einmal den anderen davonzufahren. Folgerichtig operiert man auch von einer Art Bankomobil aus - rollende Repräsentanzen im Wohnwagen. Die Commerzbanker fühlen sich durch die Geschichte verpflichtet, da sie vor dem Krieg im Gebiet der DDR das größte Geldhaus waren.

Für das reguläre Bankgeschäft heißt es jedoch laut DDR -Gesetz nach wie vor: Wir müssen leider draußen bleiben. Bislang kann sich die bundesdeutsche Hochfinanz in der anderen Republik lediglich im Non-Profit-Bereich tummeln: Beratungsgespräche mit Unternehmern und potentiellen Geschäftspartnern vom Handwerksmeister bis zum Kombinatsleiter führen. Größter Beratungsbedarf besteht allerdings bei den DDR-Banken selbst; vom Finanzgeschäft in der Marktwirtschaft verstehen die wenigsten Angestellten etwas. Zu diesem Behuf bilden die Kreditinstitute zur Zeit mehrere hundert künftig leitender Kräfte in Frankfurt aus.

Die Gefahr, daß sich die Westbanken durch die Entwicklungshilfe ungewollte Konkurrenz aufbauen, ist dabei recht gering. Eher können sie sich damit mittelfristig neue Angestellte heranziehen: Auch langgediente Schalterbeamtinnen der Staatsbank verdienten zuletzt bisweilen nur 650 Mark im Monat. Da ist der Absprung vorprogrammiert, und wenn dann die Westbanken losgelassen sind, dürfte die Westkonkurrenz mit ihren vieltausenköpfigen Anlage-, Einlage-, Kredit- und Investmentberatern den schönen Kuchen unter sich aufteilen - während die Kreditbank an ihren Schulden knabbern darf.