: Der große Bluff
■ Jüngste „Klartext„-Reportage am vergangenen Freitag im DFF 2
Klartext ist unter den teilweise wild wuchernden Fernsehpflänzchen eines, das kräftig sprießt. Gleich nach jenen Umbruchstagen brach man auf, um tabuisierten Dunkelzonen unseres Lebens Licht zu geben, um die Tünche aus Halbwahrheiten und Lügen vergangener Zeiten abzureißen. Die jüngste Klartext-Offerte ließ mich aufhorchen: „Mikroelektronik - der große Bluff“. Da war doch mal was ...?!
In der Vor-Wende-Zeit war es das Schlagwort für „wahren“ wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Mehrere Plenen, ZK -Tagungen der SED, mehrere Parteitage wurden darauf verwandt, um über Roboter, CAD-CAM, flexible Automatisierung in der DDR lautstarken Jubel anzustimmen (zustimmende Heiterkeit).
Das DDR-Fernsehen war Spit-ze in dieser Kampagne. Wettlauf mit der Zeit wurde erdacht, der die real existierende Mangelwirtschaft des DDR-Sozialismus in neonbunte Farben kleiden sollte. Höhepunkt der Meinungsmache: eine Reportage, die von der damaligen First Lady der AK, Anja Ludewig, pathetisch „Die hemmungslosen Optimisten“ betitelt wurde und voll auf der Linie lag. Jene Reportage führte auf der 30. Dokumentar- und Kurzfilmwoche zum Eklat. Als der Beitrag des DDR-Fernsehens geboten, wurde ein Ideologiespektakel schlechtester Qualität vorgeführt, das das Publikum pfeifen und trampeln, den Fernsehfürsten Adamek unberührt lächeln und klatschen ließ. Die „Silberne Taube“ für den Film und für Anja Ludewig demonstrierte denn wohl auch mehr einenpolitischen Willkürakt, denn eine Auszeichnung für künstlerischeWertarbeit.
Am vergangenen Freitag also von ebendieser Journalistin eine Reportage. Sie enttarnte die Medienkampagne vor gut zwei Jahren, die das DDR-Wunder Megabit-Chip pries und über die Diskrepanz zwischen Aufwand und Nutzen schwieg. Bekennerworte der Anja Ludewig: „Wir vom Fernsehen haben diese Kampagne mitgetragen. Unsere Reportage fing mit Erich an und hörte mit Erich auf. Wir spielten unsere Rolle gut. Mit Euphorie wurde mitgemacht. Die Medien funktionierten fast so gut wie Chips.“ Beinahe wären sie untergegangen, diese Worte. Eine knappe Minute Selbstkritik, so einfach ist das mit der Vergangenheit. Ich hab‘ mitgemacht, aber nun: Schwammdrüber und nach vorne schauen.
Wenn Anja Ludewig wenigstens in die Kamera geschaut hätte. (Frü-her hatte sie das häufig und stets freundlich optimistisch gemacht!) Die Spur Ehrlichkeit hätte man ihr dann vielleicht abgenommen. Das Phänomen des DDR -Journalismus ist noch lange nicht erhellt.
Zur Klartext-Reportage selbst. Was geboten wurde, war handwerklich saubere Arbeit. Es wurde mit Rückblenden gearbeitet, die chronologisch die Ereigniskette abspulten. Das verschaffte Übersicht, und logisch und ohne Umschweife konnte so der rote Faden geknüpft werden. Allerdings zu viele Zahlen, zu viele Fakten. Unspektakulär kamen die Betroffenen des damaligen Jahrhundertprojektes der Alten -Herren-Gigantomanie zu Wort, Produktionsleiter, Wissenschaftler aus Jena, Erfurt, Dresden. Verständlich, daß die Reporterin lieber Fachleute reden ließ, als eigene Kommentare abzugeben. Aber doch, weniger wäre mehr gewesen. Überzeugendster und interessantester Gesprächspartner Professor Sieber, der versuchte, die Machtmechansimen des Mittagschen Wirtschaftssystems aufzudecken. „Der Mittag hat sich mit Ja-Sagern umgeben. Jeder hatte Angst. Nicht jeder war ein Märtyrer.“
Gut, daß auch mal wieder Arbeiter zu Wort kamen. Angenehm die ruhige Kamera. Keine rasanten Schnittfolgen wie beim früheren „Wettlauf“, die das Auge erzittern ließen. Wohltuend jetzt die Sachlichkeit, spärlich persönliche Wertungen. Vielleicht hätte man auf einen der westdeutschen Fachleute verzichten können, denn die scheinen Mode und wirken doch immer nur als Trostpflaster und Hoffnungsträger.
Was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. Zwei Filme innerhalb von zwei Jahren zum gleichen Thema. „Der große Bluff“ ...
Arthur Sonneberg
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