Weill am Rhein

■ Das Festival zu Ehren des deutsch-amerikanischen Komponisten dokumentiert im wesentlichen die Unzulänglichkeit deutscher Weill-Rezeption

Anlaß für die Kurt-Weill-Retrospektive in Nordrhein -Westfalen sind der 90. Geburtstag und der 40. Todestag des Komponisten - doch gewichtige Gründe sprachen längst dafür, gerade die hierzulande unbekannten Werke der Öffentlichkeit vorzustellen und den Unterhaltungswert der Weillschen Musik zu nutzen. Die bislang nur sehr sporadisch in Konzert- und Radioprogramme eingewanderte Kammer- und Orchestermusik hatte und hat im Festival-Programm ebenso ihren Platz wie die theoretische Behandlung der Emigration Weills.

Den Auftakt bildeten in Oberhausen die Operneinakter Der Zar läßt sich photographieren - eine bittersüße antimonarchistische (und zugleich gegen revolutionären Terrorismus gerichtete) Operetten-Komödie nach einem Text des Expressionisten Georg Kaiser - und Royal Palace. Diese zweite Kurzoper verhandelt mit dem leicht überdrehten Text Iwan Golls (vor der Silhouette der Schweizer Berge und eines mondänen Hotels) die Unerfüllbarkeit weiblicher Sehnsucht in der Welt der Reichen und das männliche Versagen den Frauen gegenüber. In Oberhausen kam die scharfe Geschichte aber mit eher biederen Bildern daher. Die Musik, vom Weg der Weillschen Selbstfindung kündend, hörbar noch vom Lehrer Busoni beeinflußt und doch bereits über das traditionelle Opernpublikum hinauszielend, diese Musik wurde ganz unzulänglich präsentiert und wartet also weiter auf bessere Zeiten.

1934/35, auf der Flucht, schrieb Kurt Weill die satirische Operette Der Kuhhandel. In Paris wurde das antimilitaristische Stück mit seinen ausgedehnten Volksszenen begonnen, in London als A Kingdom for a Cow uraufgeführt - mit wenig Erfolg. Das in eine imaginäre Tropenlandschaft verlegte Lehrstück über die friedliche Koexistenz zweier Inselvölker und die verderblichen Wirkungen des Waffenhandels mag damals zu deutsch erschienen sein, obgleich Weill tief in die Zonen der zvuor so treffend parodierten terzenseligen und walzerschmachtenden Operette eingestiegen war. In Düsseldorf fand, mit einigen Jahrzehnten Verspätung, die deutsche Erstaufführung statt konzertant allerdings und für die radiophone Verwertbarkeit in einem schamlos populistischen Rundfunkprogramm schlimm zugerichtet.

In Bielefeld war die späte Broadway Opera Street Scene zuvor als Eine Straße in New York präsentiert worden: eine Arbeit, die nur in einigen wenigen lichten Momenten noch den Schöpfer der Dreigroschen-Musik erkennen läßt und sich weitgehend dem mittleren Geschmack der westlichen Welt einbequemte. Inszeniert war das Musical ohne eine vielleicht rettende Distanz zu dem bereits im Entstehungsjahr 1947 erheblich anachronistischen Stück. Damit verstrich eine weitere Chance, für Weills Werk etwas von künstlerischem Belang zu unternehmen und dem Engagement des vorzüglichen Solistenensembles auf optischer Ebene etwas Gleichrangiges hinzuzufügen.

In Duisburg tagte das Internationale Weill-Symposium. Jürgen Schebera und Joachim Lucchesi (Akademie der Künste der DDR) wiesen auf den Beitrag des Komponisten im Rahmen der Kriegsanstrengungen der USA hin - Weill verschrieb sich seiner neuen Heimat ganz und gar. Wie Offenbach einst mit Haut und Haaren ein französischer Komponist geworden war, so wollte Weill ein amerikanischer sein - Verfolgung und Not, Chaos und künstlerische Querelen der Alten Welt hinter dem Ozean und für immer gut sein lassen. Diese existentielle und künstlerisch folgenreiche Entscheidung steht - neben dem Fortwirken alter Vorurteile - der Weill-Rezeption in Deutschland bis heute im Weg. Einhellig plädierten die Kongreßredner für die Aneignung des in Amerika entstandenen Kontingents - ein gutes Dutzend Bühnenwerke. Dabei wurde eingeräumt, daß sich die mitteleuropäische Musikgeschichtsschreibung nach wie vor mit dem „Fall Weill“ schwer tut, weil fachspezifische Kriterien sich an diesen für einen konkreten Ort und Zeitpunkt geschaffenen Werken nur schwer anlegen lassen.

Von allen Weill-Aktivitäten im Rheinland ist die Ausstellung des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Instituts die unproblematischste. Vorzügliche Fotos des Meisters sind da zu sehen: am Schreibtisch, am Klavier, mit Fritz Busch und Gielen vor der Dresdener Staatsoper; Weill denkend, rauchend, glotzend. Erstaunlich viele Autographe aus den Lehrjahren des Kurt Julian Weill, auch Arbeiten für die jüdische Gemeinde in Dessau. Dann Korrekturfahnen und Caspar Nehers Bühnenbildentwürfe zur Dreigroschenoper, Skizzen zu Surabaya-Johnny, Briefe von und an allerlei Prominente - zuletzt an den armen Bertolt Brecht wegen nicht ausbezahlter Tantiemen für Dreigroschenoper-Aufführungen im Nachkriegsdeutschland. Unter den Broadway-Plakaten, die von einer großen Ära der Unterhaltungskunst künden, die schriftliche Unterhaltung über die Niedrigkeit des Lebens und das schnöde Verhalten des früheren Mitstreiters.

Nirgendwo zeigt sich rasche Verderblichkeit der Ware Kunst so unnachsichtig wie in den elysischen Feldern des Unterhaltungsgewerbes, auch wenn jedes einzelne Werk als Wahres gesetzt, mit dem Impetus der Niveauhebung herbeigeschwitzt und als Zeitstück pointiert wurde. Weills Werk ist insgesamt historisch, alle Linien der Unmittelbarkeit sind durch Faschismus, Emigration, Krieg und den Modernisierungswillen in der Nachkriegszeit gebrochen. Man mag das bedauern - aber auch das Festival am Rhein konnte nichts anderes dokumentieren.

Frieder Reininghaus

Die Düsseldorfer Ausstellung ist noch bis zum 6. Mai zu besichtigen; der Katalog, herausgegeben von B.Kortländer u.a., ist im Droste-Verlag erschienen (164 Seiten, 32 DM).