„Für alle Semesterstufen“

■ Das neue Uni-Veranstaltungsprogramm als Studienobjekt für Nußknacker, Alltagsdrogis

Die nach dem Telefonbuch wichtigste Bremensie dieses Jahres ist ab sofort wieder zwischen Joghurt, Brötchen und Zigaretten im Lebensmittelladen Walter auf dem Universitätsboulevard erhältlich: 520 in schlichtes Weiß gebundene Seiten des Veranstaltungsverzeichnisses zum Sommersemester '90. Das Werk eignet sich für die geneigte Studentin nicht nur als Hilfsmittel zur Auffindung des Seminarraumes, sondern es bietet zugleich vergnügliche Lektüre und vielfältigen Anlaß zum Selbststudium. Oder wissen Sie auf Anhieb, auf welchen Weg folgende Ankündigung leiten möchte:

11-130 AV Tätigkeitstheorie III: Dialog, Kooperation, sozialer Verkehr, kollektive Subjektivität. LA, PV/PA, 1.1,1.3,1.4, EGW, D2, WB, Schulst. P, S1, Dipl., GS: 3.1.3, Eignung f. M, H, 2 SWS; Do 15-17, C 4180, Sportturm

Nehmen wir mal an, Sie haben die harte Abkürzungs-Nuß im Sportturm geknackt und schlendern nun ausgetrocknet und hungrig über das Boulevard, dann interessiert Sie vielleicht eine Veranstal

tung des Fachbereiches 12:

„Wein-Schlürfer, Toback-Schmaucher, Coffee-Schwelger. Alltagsdrogen in der Geschichte Bremens.“

Nein, ein Studium an der Bremer Universität bietet nicht nur tiefe Einblicke in sozialen Verkehr, sondern stellt auch Grundfragen des Lebens. Zum Beispiel im Fachbereich 12: Brauchen wir Märchen? Wen dieser philosophische Tiefgang schwindeln läßt, dem sei zunächst ein Kurs des gleichen Fachbereichs für Empiriker empfohlen: Kennen Kinder Märchen? Beruhigend der Hinweis Eignung für alle Semesterstufen. Allerdings bezahlen Sie hier Klarheit mit Schlaf: Das Seminar

beginnt Dienstags bereits um 8 Uhr früh.

Sollten Sie ein Nachtmensch sein, könnte Sie vielleicht eher das Seminar Sexualität als weiblicher Arbeitsbereich an der Grenze zu strafrechtlich relevanten Tatbeständen interessieren. Den nächsten Zug durchs Steintor lassen Sie sich dann als Praktikum anerkennen.

Beim Blättern haben Sie inzwischen durchschaut, warum der Uni ihr Programm so dick ist: Im akademischen Leitfaden taucht jedes Angebot gleich doppelt auf. Professor Beyersmann bringt es auf den Seiten 75, 76, 77, 126, 172 und 197 sogar auf sechsmal Werbung für seinen Lektürekurs

zu Ulrich Beck: Die Risikoge sellschaft.

Was, Sie wollen sich nicht nur mit der popeligen Gesellschaft - und sei sie auch voller Risiko -, sondern lieber mit dem großen Ganzen befassen. Wie wär's dann mit einem Rundumschlag in Erd-und Lebensgeschichte im Fachbereich 5.

Alles klar? Gar nichts klar? Auch dafür hat die Uni vorgesorgt. Besuchen Sie doch ganz einfach am Montag das „Zentrum für Weiterbildung“. Dort forschen Barbara Spieß und Ina Wawer am Projekt EULE - Erkundung universitärer Lehrangebote.

Dirk Asendorpf