Sommer '90: Heiß und trocken

FU-Meteorologe Wolfgang Röder legt seine Prognose für das kommende Halbjahr vor / Zyklischer Ablauf von wetterwirksamen atmosphärischen Konstellationen als Grundlage für Langzeitvorhersagen  ■  Von Manfred Kriener

Seit es Menschen gibt, gucken sie aus Höhle und Fenster zum Himmel und stellen die eine banale, aber für das eigene Befinden doch wichtige Frage: Wie wird das Wetter? Im ausgehenden 20. Jahrhundert ist durch die Klimadebatte selbst diese Ur-Frage des Menschen nicht mehr frei vom apokalyptischen Unterton. Ihre Beantwortung aber ist, sobald sich der Zeitraum der Vorhersage über einen längeren Zeitraum erstreckt, vor allem eines: ungemein schwierig. Was für den Tag danach in den Wetterämtern bei fast hundertprozentiger Treffergenauigkeit längst zur Routine geworden ist, wird, schon wenn es um eine monatliche Vorhersage geht, zunehmend wackelig.

Wettervorhersagen für einen Zeitraum von einem halben Jahr oder noch länger haben vollends den Ruf des meteorologischen Roulettes. Wenn sie dann noch wissenschaftlichen Ansprüchen folgen (wollen), macht sich endgültig Skepsis breit. Doch alle Wetterlangzeitprognosen - ob wissenschaftlich oder intuitiv - haben einen wunderbaren Vorteil: Sie lassen sich hinterher nachprüfen und als Fehlprognose oder Volltreffer einordnen.

Einer, der diese Nachprüfung - bislang - nicht scheuen muß, ist Wolfgang Röder vom Institut für Meteorologie der FU Berlin. Seine Prognosen für den Sommer 1989 und den Winter 1989/90, von unserer Redaktion noch unveröffentlicht auf die Seite gelegt, zeigen eine erstaunliche Trefferquote. Grund genug also, schleunigst die Voraussage für den Sommer 1990 einzuholen. Kernaussage: „Es muß damit gerechnet werden, daß dieser Sommer in Teilen Europas wieder extrem trocken und erheblich zu warm ausfallen wird.“

Für die kommenden Monate prophezeit Röder einen relativ kalten April mit Schadfrösten und starken Niederschlägen. Schon im Mai würden dann aber „übernormale Temperaturen“ registriert mit „großer Neigung zu Hochdrucklagen über Nord und Mitteleuropa“.

Nachdem der Juni „etwas kühler ausfällt“, stabilisiere sich in der Folge „eine Zone erhöhten Luftdrucks vom Azorenraum über Nord- und Mitteleuropa hinweg nach Osteuropa, begleitet von verstärkter Tiefdrucktätigkeit über der Arktis“. Insgesamt sei für den Sommer 1990 „die Neigung zu übernormalen Temperaturen und unter normalen Niederschlägen unübersehbar“.

Naturbeobachtungen spielen für Wolfgang Röders Prognostik keine Rolle. Er wagt sogar die unpopuläre These, daß die Natur im Grunde genommen „ganz schön blöd“ sei. Sie könne lediglich re-agieren und durch mitunter schnelle Anpassungsprozesse aus Vergangenem „lernen“. Der Glaube aber, daß zum Beispiel viele Eicheln im Herbst die weise Vorsorge für einen kommenden harten Winter seien, hält Wolfgang Röder für eine typische und falsche „Ver-Menschung“ der Natur. Auch das Zugverhalten der Vögel, die verstärkt zu Hause bleiben und die Reise in den Süden scheuen, sei keine Vorahnung des Kommenden, sondern ein Selektionsprozeß durch die vorausgegangenen milden Winter.

Wie geht aber nun der Wissenschaftler vor? Grundlage für Röders Langzeitprognose ist die Annahme von zyklischen Prozessen im Wettergeschehen. Vereinfacht gesagt: Wetter wiederholt sich nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Der Meteorologe der Freien Universität zieht drei Zyklen heran, die sich gegenseitig überlagern. Wichtigster Zyklus für unseres Breiten sei die atlantisch-europäische Luftzirkulation für die eine Zykluslänge von knapp acht Jahren angenommen. FU-Metereologe Röders findet diesen Prozeß in den Temperaturkurven der vergangenen Jahre bestätigt. Er vergleicht die abgebildete Kurve (siehe unten), auf der die Abweichung von der langjährigen Jahresmitteltemperatur dargestellt wird, mit einer Sinus -Schwingung in einem Intervall von 7,7 Jahren. Nach seiner Einschätzung befinden wir uns gegenwärtig in einem Maximumbereich, also am oberen Ende der Amplitude, weshalb Prognosen jetzt besonders leicht seien, während in einer Übergangsphase die Prognose deutlich schwieriger wäre.

Überlagert werde der 7,7-Jahreszyklus durch ENSO und QBO. ENSO steht für den pazifischen Zyklus El Nino Southern Oscillation. Damit wird jene fünfeinhalbjährige Periode umschrieben, die mit dem Wechsel von kaltem und warmem Ozeanwasser in den äquatorialen Bereichen einhergeht. QBO ist die Quasi Biannual Oscillation, also eine im Temperaturgang Mitteleuropas angenommene 26monatige (quasi zweijährige) Periode, die zeitweise „sehr ausgeprägt war“, gegenwärtig aber nur schwach wahrnehmbar sei.

Die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich die Periodizitäten ausbilden, seien bis heute nicht ausreichend geklärt. Daß es sie gibt, daß sie sich gegenseitig rückkoppeln und überlagern, ist für den FU-Wettermann sicher.

Ebenso sicher ist für Röder, daß die menschengemachte Klimabeeinflussung bereits wirksam ist. Die ungewöhnliche Häufung von Wetterextremen ist für ihn Beleg genug. Eines dieser Extreme wurde in diesem Februar registriert und bislang kaum beachtet: Der tiefste Luftdruck, der seit der Wetterbeobachtung (1851) in diesem Monat jemals gemessen worden ist.

Für Wolfgang Röders führt der anthropogene Klimaeffekt durch Spurengase und Treibhauswirkung, vor allem im Winter zu wahrnehmbaren Veränderungen. Der von ihm vorausgesagte trockenen Sommer bleibe davon weitgehend unbeeinflußt. Auch eine andere, höchst einfache Wahrscheinlichkeitsrechnung scheint die These des FU-Wissenschaftlers zu bestätigen. Es ist die simple Langzeitbeobachtung, daß mit 65 Prozent Wahrscheinlichkeit auf einen milden Winter auch ein warmer Sommer folgt.