Palästina wegen Papua-Neuguinea vergessen?

Schludrigkeit der Grünen im Europaparlament verzögert EG-Hilfsgelder für palästinensische Flüchtlinge / Grüne Berichterstatterin weilte zum falschen Zeitpunkt in Südostasien / Sie hatte es versäumt, VertreterInnen zu benennen / Gelder konnten deshalb nicht bewilligt werden  ■  Aus Straßburg Thomas Scheuer

In der Arbeitsplatzbeschreibung des israelischen EG -Botschafters Avi Primors - seines Zeichens Mossad -Geheimdienstoffizier - nimmt die Beobachtung des Europäischen Parlaments einen großen Stellenwert ein: Die EG -Volksvertretung meldete sich wiederholt mit äußerst kritischen Resolutionen über die israelische Besatzungspolitik zu Wort, die Beziehungen EG-Israel sind derzeit auf dem Tiefpunkt angelangt. Jüngst konnte Primor ausnahmsweise mal Erfreuliches nach Hause kabeln: In der März-Sitzung des EG-Parlaments fiel die Verabschiedung von EG-Hilfsgeldern für palästinensische Flüchtlinge unter den Tisch. Versaubeutelt haben einen entsprechenden Beschluß ausgerechnet die Grünen im Europaparlament.

Es geht um EG-Gelder für das vor 40 Jahren gegründete Hilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästinaflüchtlinge (UNRWA). Laut offizieller UNO-Statistik sind bislang rund zwei Millionen palästinensische Flüchtlinge, viele davon in den Lagern im Gaza-Streifen, im Westjordanland und im Libanon, von der UNRWA-Versorgung abhängig geworden. Experten schätzen die Zahl der tatsächlich betreuten palästinensischen Flüchtlingsfamilien jedoch auf das Dreifache.

Seit Jahren finanziert die Europäische Gemeinschaft den völlig von Spenden abhängigen Etat der UNRWA mit. Nachdem die USA ihre Beiträge für 1990 reduziert haben, ist die EG zum größten Einzahler in den UNRWA-Topf geworden. Besonders geschätzt ist die EG bei den UNRWA-Managern, da sie ihre Finanzhilfe mit dreijährigen Laufzeiten erteilt und damit langfristige Planungen ermöglicht.

Dieses finanzielle Engagement ist innerhalb der EG völlig unstrittig. Anfang dieses Jahres schlug die EG-Kommission dem Ministerrat eine Verlängerung der UNRWA-Beiträge für weitere drei Jahre in Höhe von insgesamt 80,1 Millionen ECU vor (mehr als 160 Millionen D-Mark). Der Rat billigte den Vorschlag. Jetzt stand nur noch das Plazet des Parlaments aus, das - eines der wenigen mühsam erkämpften Rechte - bei allen Angelegenheiten mitreden darf, die Drittstaaten betreffen. In den Ausschüssen für Entwicklung und Zusammenarbeit sowie im Haushaltsausschuß ging die Vorlage flott über die Tische. Die Absegnung im Straßburger Plenum während der März-Session schien reine Formalie.

Als Berichterstatterin erwärmte sich die französische Grüne Marie-Christine Aulas in ihrer schriftlichen Beschlußvorlage für die Arbeit der UNRWA: „In der Erwägung, daß die Arbeit des UN-Hilfswerks für das Leben Tausender von palästinensischen Familien, die häufig nicht nur unter sehr großen Entbehrungen leiden, sondern sehr oft auch um ihr Leben fürchten müssen, von großer Bedeutung ist“, und in der weiteren „Erwägung, daß Mut und Engagement des UNRWA -Personals höchstes Lob verdienen“, so die Abgeordnete, sei das Geld freizugeben.

Doch als dann im Plenum der Bericht Aulas‘ zur Behandlung aufgerufen wurde, herrschte Stille in der Sitzreihe der grünen Fraktion. Madame Aulas weilte nämlich auf Papua -Neuguinea. Ob aus reiner „Reisegeilheit“, wie die Erregung des Augenblickes einen EG-Beamten schimpfen ließ, oder weil sie tatsächlich Bedeutsames zu den dort gerade laufenden AKP -Verhandlungen beizusteuern hatte, wie ein Fraktionsmitarbeiter entschuldigend erklärte, spielt keine Rolle. Die grüne Abgeordnete hätte lediglich rechtzeitig eine/n ErsatzberichterstatterIn benennen müssen. Ihre KollegInnen im Plenum hätten das notfalls im letzten Moment noch deichseln können. Aber dort wurde offensichtlich ebenso gepennt wie in den Räumen des Fraktionssekretariats.

Aber so sind sie halt, die Grünen im Europaparlament: Hin und hergerissen zwischen fast krankhafter Aversion gegen die EG-Realität und dem Willen, im politischen EG-Alltag eben doch eine Rolle zu spielen, haben sie das Prozedere auch nach mehr als fünf Jahren noch nicht im Griff. Schon wiederholt versagten die Grünen im Europaparlament gerade dann, wenn ihre wenigen Stimmen den Ausschlag hätten geben können, und das bei regelrechten grünen Leib-und-Magen -Themen. Im vorletzten Sommer beispielsweise scheiterte im Plenum ein äußerst kritischer - demzufolge entsprechend heftig umstrittener - Bericht des britischen Sozialisten Llew Smith über die Kontrolle der „gemischten“ (zivil wie militärisch genutzten) Atomanlagen in Frankreich und England an einer Differenz von nur zwei Stimmen - mehrere grüne Volksvertreter hatten die Abstimmung verdusselt.

Der jüngste Flop der Grünen hat sowohl UNRWA-Funktionäre in Genf, die dringend auf die EG-Hilfsgelder warten, als auch EG-Beamte in Brüssel, die sich in den Kulissen für die rasche Abwicklung der Finanzhilfe engagiert hatten, auf die Palme gebracht. Die Parlamentsverwaltung hat den Aulas -Bericht für die April-Session, die am Montag dieser Woche in Straßburg begann, erneut auf die Tagesordnung bugsiert.