DDR-Frauenfilm, was ist das?

■ taz sprach mit Christina Karstädt, Dramaturgin beim DFF / Kein Happy-End für Frauenfilmerinnen in der DDR? Treffen in Hannover brachte Angebot zur Zusammenarbeit / Wichtig, daß Frauen gegen Resignation angehen

Man / frau muß sie fast mit der Lupe suchen Frauenfilmerinnen in der DDR. Aber es gibt sie, die weitgehend unbekannten Wesen der Spezies „cine feminensis“. Sie kommen vereinzelt in freier Wildbahn vor, werden auch paarweise gesichtet. Bei Exemplaren der Gattung „cine masculinensis“ erwecken sie mitunter Aggressionen und werden als Rivalin aus dem Jagdgebiet vertrieben. Sie sind vom Aussterben bedroht, ohne sich je eingelebt zu haben. Zeichnen sich jedoch durch Widerstandsfähigkeit und Zähigkeit aus. Eine von ihnen ist Christina Karstädt, 26, Dramaturgin beim Deutschen Fernsehfunk. Anfang März war sie drei Tage zur „FrauenFilmFlut“ in Hannover. Gemeinsam mit der Graphikerin Betina Lünser (Viedeowerkstatt beim DFF) hatte sie ein Experimentalprogramm aus Kurzfilmen junger Frauenfilmerinnen der DDR zusammengestellt.

taz: „FrauenFilmFlut“ - ist in der DDR nicht vielmehr Ebbe die Realität?

Christine Karstädt: Also wenn Du mich so fragst, dann gab und gibt es wohl zwei Realitäten: Die Realität, die von den vielen unabhängigen Filmemacherinnen geschaffen wird, die mit Video und Super 8 im „Untergrund“ produzieren; und die Realität, die von jenen Filmfrauen ausgeht, die bei der DEFA, beim Fernsehfunk und beim Dokfilmstudio drehen. In beiden Fällen war es mit Frauenfilmen wirklich Ebbe. Weil nämlich die einen kaum an die Öffentlichkeit kamen - und die anderen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht das entsprechende Frauenbewußtsein besitzen, um Frauenfilme zustande zu bringen.

Was verstehst du dann unter Frauenfilmen?

Filme, die von Frauen gemacht werden, die mit ihrer weiblichen Sicht den Filmstoff prägen. Die von Autorinnen, Dramaturginnen, Regisseurinnen gemacht werden, die Frauenbewußtsein besitzen. Also das Bewußtsein für die Probleme der Frau in Beruf und Gesellschaft. In der Regel ist den meisten Filmarbeiterinnen, wenn sie einigermaßen in Amt und Würden sind, dieses Bewußtsein mit der Zeit aber verlorengegangen ... Offenbar sind Frauen in Machtpositionen auch nicht besser als Männer.

Woran liegt's aber, daß es sowenig Frauenfilmerinnen gibt?

Ich selbst habe an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg Dramaturgie studiert und bin dann zum Fernsehen gegangen. Jetzt arbeite ich in der Gruppe „Der Staatsanwalt hat das Wort“. An der Hochschule gab es in den Fachrichtungen Regie, Produktion und Dramaturgie etwa 30 bis 50 Prozent Studentinnen; bei der Kameraausbildung war eine Frau dagegen die Ausnahme. Nach dem Studium bleiben dann aber schon die meisten Frauen auf der Strecke. Das erste Kind - und es wird fast unmöglich, auf Recherche oder zum Drehen zu fahren. Man ist ja manchmal wochen- oder monatelang mit dem Drehstab unterwegs.

Dafür kann man aber niemandem die Schuld geben.

Natürlich ist ein Jahr keine Ewigkeit und auch kein Hindernis, schnell wieder ins Filmemachen einzusteigen. Aber der typische Frauenkonflikt - Beruf oder Kind - ist aufgebrochen. Und wenn du Filme machen willst, mußt du dich letztlich gegen das Kind entscheiden. Oder du bleibst Assistentin, fährst mit angezogener Handbremse. Lebensläufe wie die von Gabriele Denecke, einer begabten Filmregisseurin, sind exemplarisch: Regiestudium, Meisterschülerin, dann das Kind, zwei Jahre Bildungsfernsehen, schließlich Fernsehdramatik - und erst nach acht Jahren der erste Film. Und das ist für eine Regisseurin noch zeitig! Bei den männlichen Absolventen dauert es in der Regel fünf bis acht Jahre, auch lang genug, bis zum Debüt. Ehe die Frauen aber zum Zuge kommen könnten, sind sie beim Kinderfernsehen oder bei Ratgebersendungen untergebuttert. Verantwortliche Positionen sind besetzt, von Männern oder älteren Frauen beziehungsweise Frauen ohne Kinder. In der Fernsehdramatik sind übrigens von 50 RegisseurInnen fünf eine Frau. Bei der DEFA ist das Verhältnis ähnlich.

Diese Frauen sind dann die Vorzeigeblümchen mit den Alibifilmen für die männlichen Kollegen. Ich denke da an Helke Misselwitz und „Winter ade“. Umjubelt und auf dem Präsentierteller herumgereicht, ging der Dokfilmbeitrag seit 1988 durch die Medien.

Sicher ist der Film, den Du angesprochen hast, den Beifall wert. Aber er ist eine Ausnahme. In den Produktionen der großen Filminstitutionen der DDR - DEFA-Spielfilmstudio, DEFA-Dokfilmstudio und Fernsehen - gab es nur vereinzelt Filme von und über Frauen. Dazu gehörten zum Beispiel auch Die Alleinseglerin und Paulines zweites Leben. Es waren Versuche, das in der Öffentlichkeit gezeichnete Bild von Frauen: Berufstätige, Mutter, Genossin, Ehefrau und Geliebte zu sein, zu durchbrechen, zu entstauben. Es waren Versuche, die Realitäten dieses Bildes aufzuzeigen, die nämlich mit zahlreichen Problemen und Konflikten belastet sind. Und sie sollten und wollten Frauen zeigen, die daraufhin sich selbst, ihr soziales und politisches Umfeld reflektieren, die sich auf die Spur weiblicher Kultur und weiblichen Widerstandes begeben.

Weiblicher Widerstand. Gegen männlichen Vor-Stand?

Während des Studiums war es ja noch möglich, weibliche Sichtweisen auf Stoff und Idee einzubringen - bei Filmübungen, Hauptprüfungen, Diplomfilmen. In der Praxis der Institutionen wurden solche Sichten aber ganz schnell der Gewalt des Planes und dem Technik- und Machtmonopol der fast ausnahmslos männlichen Leiter unterworfen. Und den Zuschauerzahlen. Die Leute wollen unterhalten sein und keine „emanzipatorischen Spinnereien“ vorgesetzt bekommen ... Stoffe, die Frauenleben thematisieren, fielen durchs Sieb. Ebenso wie Themen über Behinderte, Alkoholismus, AIDS, Lesben- und Schwulenleben, also alles, was „Randgruppenkonflikte“ betraf. Für die Filmemacherinnen blieb dann nur die Alternative: Anpassen an die Programmstrukturen oder aussteigen. Die meisten haben sich angepaßt, konnten meistens auch nicht anders. Kinder und Familie ließen ihnen gar keine Wahl. Und aussteigen heißt, unabhängig produzieren. Aber womit? Film, Fernsehen, Video sind technik- und materialintensive Kunstprodukte - wenig geeignet für Heimarbeit. Auf Super 8 auszuweichen, war eine Möglichkeit; der Preis war aber der Austritt aus den professionellen Medien und damit aus der Öffentlichkeit. Oder du hattest Glück, eine „Plan„-Lücke zu finden und Technik- und Studiokapazitäten außerhalb der Sendeproduktionen auszunutzen. Zum Beispiel bei Aufträgen vom Verband Bildender Künstler, Arbeiten für die Videowerkstatt beim Fernsehen, für Festivals, Workshops. Aber das war auch alles nur zum Vorzeigen, nicht zum Senden in den Medien.

Klappe zu, Licht aus - kein Happy end für die Frauenfilmerinnen?

Ich befürchte ja. Mit den ideologischen Grenzen in diesem Land sind zwar auch einige Tabus weggefallen und man anerkennt überhaupt erstmal, daß es in der DDR eine Frauenfrage gibt. Aber männerbezogenes Denken und patriarchalische Strukturen gibt es ja bedeutend länger als 40 Jahre.

Also können wir einpacken.

Aber überhaupt nicht! Es ist doch ganz wichtig, daß Frauen gerade gegen diese Resignation angehen und zusammen arbeiten. Etwas für sich machen, zur Selbstverständigung und zum eigenen Selbstverständnis. In Hannover haben uns die westdeutschen Filmarbeiterinnen ihre Zusammenarbeit und Erfahrungen mit dem unabhängigen Filmen angeboten. Wir haben zwar noch keine konkreten Projekte, aber mit dem Kopf voller Ideen bin ich wieder nach Hause gefahren. Und mit einer ganzen Portion Mut und Selbstvertrauen.

Das Gespräch führte Tina Fritsch