Waldorf für die DDR?

■ Westberliner Diskussion über alternative Schulen stieß auf Rieseninteresse von Pädagogen aus Ost-Berlin / Gibt es in der Schulpolitik noch einen dritten Weg?

Damit hatten die Veranstalter des Diskussionsabends zum Thema „Staatsschule oder Freie Schule?“ nicht gerechnet: Aus Ost-Berlin und der DDR erschienen mehr InteressentInnen als aus West-Berlin. Seit dem Herbst 1989 sind viele Pädagogen an den Staatsschulen in der DDR mit ihrem Schulsystem unzufrieden - und zeigen jetzt großes Interesse an Alternativen wie den Waldorf- und Rudolf-Steiner-Schulen.

„Vorher haben wir gar nicht daran gedacht, daß es auch andere Lehr- und Lernmethoden gibt“, so eine Lehramtsstudentin aus Potsdam. Doch die Kritik an dem DDR -Schulsystem ist vorhanden: die Lehrpläne seien „zu streng“, es sei „keine Zeit für persönliche Gespräche“ im Unterricht, und das „Zensieren von Dingen, die persönlichkeitsbedingt sind“, sei schließlich kaum möglich. Auch die bürokratischen Ziele an den DDR-Schulen seien zum Teil sonderbar: So mußte früher jeder Schuldirektor dafür sorgen, daß mindestens 90 Prozent der SchülerInnen Schulmilch trinken. Andreas Wiechmann vom Westberliner „Verein für ein freies Schulwesen“ sieht jetzt die Möglichkeit, die allgemeine Unzufriedenheit und die Umwälzungen in der DDR zu benutzen, um die Freien Schulen weiter zu verbreiten. Die DDR-Schulen dürften nicht „von einer Abhängigkeit in die andere geraten“: „Wir haben gar keinen Grund, die DDR mit unserem obrigkeitshörigen Schulsystem zu beglücken“ - das aus dem 18. Jahrhundert stamme. Lehrer dürften keine staatsabhängigen Beamten sein, und die Schulen dürften nicht von einem/r RektorIn geleitet werden, sondern kollegial von allen Lehrern. Scharf kritisierten die AnhängerInnen der Freien Schulen, daß die Grundrechte auf freie Lehr- und Lernmöglichkeiten in der BRD nicht verwirklicht seien. Der Staat lasse es zu, daß dieses Grundrecht käuflich sei, da die Freien Schulen nicht die gleiche finanzielle Unterstützung bekommen wie die Staatsschulen und daher von den Eltern Schulgeld verlangen müßten. Nicht der Staat, sondern die Eltern müßten über die Schulform für die Kinder frei entscheiden. Auf die provokative Frage eines West-Junge -Pioniere-Vorsitzenden, daß dann auch der rechtsradikale Schönhuber eine Privatschule machen könne, wenn der Staat sich aus der Erziehung heraushalte, meinte Andreas Wiechmann (selbst Vater) konfliktbewußt und provokativ: „Ich fände es vorzüglich, wenn es eine Adolf-Hitler-Schule gäbe. Man muß mit dem Risiko leben“, und „Freiheit verdient mehr Vertrauen“.

Willfried Jaensch, ebenfalls Mitglied des Vereins für ein freies Schulwesen, artikulierte die Gefahr, daß die „Kinder von den Wünschen ihrer Eltern vergewaltigt werden“. Bei den hitzigen Diskussionen über Freie Schulen habe er häufig den Eindruck, „daß die Eltern die politischen Probleme, die sie im Alltag nicht bewältigen können, an ihren Kindern auslassen.

Rochus Görgen