Prophetin im Sinne der Tradition

■ Als „unorthodox-orthodox“ bezeichnet sich Eveline Goodmann-Thau. Die Jerusalemer Dozentin für rabbinische Theologie machte Furore, als sie mit einer Gruppe jüdischer Feministinnen an der Klagemauer Gebete sang.

Wir Frauen müssen selber Bibel-Exegese betreiben und dabei im vollen Sinne des Wortes prophetisch wirken.“ Vielleicht ist es der orthodoxe Hintergrund, der Eveline Goodman-Thau so viel Unerschrockenheit verleiht; vielleicht ist es der permanente Widerstand aus der Welt der Rabbiner, der sie im Glauben an sich und ihre feministischen Ideen stark gemacht hat. Unbekümmert und originell wirkt die Jerusalemer Dozentin für rabbinische Theologie und Mutter von fünf erwachsenen Kindern - gütig, weiblich, mitunter fast ein wenig mädchenhaft und bei näherem Hinsehen bildschön.

„Eigentlich fühle ich mich zur Rabbinerin berufen.“ Diesen Weg aber hatte ihr das orthodoxe Judentum versperrt. Einen Augenblick lang sieht man den Schmerz in ihren Augen. Trotz allem steht sie immer noch in der orthodoxen Tradition ihrer Eltern, wenngleich sie sich als „unorthodox-orthodoxe“ Jüdin bezeichnet. So machte sie Furore, indem sie mit einer Gruppe religiöser Feministinnen laut an der Jerusalemer Klagemauer Gebete sang. Das verbietet die Orthodoxie den Frauen eigentlich, weil ein jüdischer Mann nach den religiösen Gesetzen keine Frauen außer seiner Ehefrau singen hören darf. Zum Entsetzen ihrer Gegner zog Goodman-Thau auch noch den Tallit, das Gebetstuch ihres Vaters an. „In diesem Augenblick empfand ich zum ersten Mal die Bedeutung dieses Stücks Stoff. Ich trug plötzlich die Tradition meiner Väter und Vorväter auf meinen Schultern.“

Anders als viele Feministinnen versucht Goodman-Thau die für Frauen geltenden Fesseln im Judentum nicht durch eine Konfrontation von außen zu lösen, sondern will eine Veränderung von innen heraus. Die hebräische Bibel, die Basis allen Judentums, dürfe nicht verworfen sondern müsse von neuem - aus der Sicht der Frauen - interpretiert werden. Genau das sei auch die Jahrtausende alte Tradition der Juden: die immer wiederkehrende Rückbesinnung auf den Ursprung ihrer Religion und die daraus folgenden neuen Auslegungen. Bisher wurde den Frauen dabei kein Platz zugestanden. Immer waren es Männer, die die hebräischen Texte, selbst solche, die in erster Linie Frauen betreffen, kommentierten. „Deren Fragen sind aber nicht meine Fragen.“

Goodman-Thau geht es darum, die vielen Frauen in der Bibel und deren immer wieder verdrängte Bedeutung für die Religion sichtbar zu machen. Typisch für die unterschiedliche Beziehung der Geschlechter zu Gott sei zum Beispiel die Szene, in der Eva - soeben aus der Rippe geschaffen - Adam zugeführt wird. Adam sagt: „Das ist Knochen von meinem Knochen und Fleisch von meinem Fleisch.“ Er sehe - so Goodman-Thau - Eva lediglich auf sich selbst bezogen, als eine Schöpfung aus einem Teil von sich selbst. Als Eva ihr erstes Kind geboren hatte, sagte sie: „Ich habe durch Gott einen Mann (sie meint ihren Sohn) bekommen.“ Im Gegensatz zu Adam beziehe sie die Schöpfung eines neuen Menschen nicht ausschließlich auf sich selbst, sondern erkenne darin Gottes Rolle. Goodman-Thau findet, daß diese zwei unterschiedlichen Einstellungen das oft viel unmittelbarere Verhältnis von Frauen zu Gott symbolisierten. Nicht zufällig würden sich die Juden in Salomos Hohelied mit der Braut, also dem weiblichen Part identifizieren. Der männliche sei Gott. Vor diesem Hintergrund hat Goodman-Thau keine Schwierigkeiten, sich Gott als einem Gegenüber mit männlichen Attributen zuzuwenden.

„Aufklärung nicht von der Religion, sondern in der Religion“, lautet ihre Maxime. Wenn sich Frauen ernsthaft mit den jüdischen Schriften auseinandersetzen, würden sich daraus auch entsprechende neue Formen religiöser Praxis, ein eigenes „religiöses Gewand“, entwickeln. „Wir müssen aufhören zu warten, daß die Männer dies für uns tun“, sagt sie.

Zwar lehnt das Judentum im Gegensatz zur christlichen Tradition, die im Text immer wieder absolute Wahrheit gesucht und daraus offizielle Lehrmeinungen verfestigt hat, den Anspruch auf eine alleingültige Wahrheit für sich ab. Dieser geistigen Freiheit jedoch steht die bis ins letzte Detail festgelegte religiöse Praxis gegenüber. Wie sollen sich orthodoxe Frauen gegenüber all den religiösen Gesetzen verhalten, die ihre Entfaltung verhindern, fragt Goodman -Thau. „Jedes echte religiöse Handeln ist ketzerisch“, sagt sie, „daher müssen wir Frauen, ohne mit der Gemeinschaft zu brechen, ketzerisch sein.“

Elisa Klapheck

(Jüdische Frauen und Männer, die Interesse an einem Kontakt mit Eveline Goodman-Thau haben, können sich brieflich über die taz an Elisa Klapheck wenden.)