Angst vor der Rückkehr in die Heimat

Es ist still geworden um die etwa 5.000 chinesischen StudentInnen in der Bundesrepublik. Die meisten von ihnen hatten sich im Mai vergangenen Jahres mit den hungerstreikenden StudentInnen auf dem Tiananmen-Platz solidarisiert. Alle hatten sie sich nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung am 4.Juni in irgendeiner Form am Protest gegen die Führungsriege Pekings beteiligt: Sie hatten demonstriert, Flugblätter geschrieben, Vortragsveranstaltungen und Solidaritätskonzerte organisiert. Unmittelbar nach den Ereignissen im Juni reichte in der BRD die Empörung über das Massaker gerade noch dazu aus, den hier Studierenden eine Visumverlängerung von einem halben Jahr einzuräumen. Dieselbe Öffentlichkeit, die zwei Monate lang die gewaltfreien Aktionen der chinesischen Studentenbewegung auf dem Festland bewundert hatte, ging wenig später weitgehend reaktionslos zur Tagesordnung über. Und dabei gerieten auch die Probleme der chinesischen AuslandsstudentInnen in Vergessenheit.

Die Gruppe der Austauschstudenten mit Regierungsstipendium stellt nur eine Minderheit. Die große Mehrheit sind SelbstzahlerInnen, die sich ihr Studium durch Jobben während der Semesterferien verdienen müssen. Da sie keine Arbeitserlaubnis erhalten können, sind viele zur Schwarzarbeit gezwungen, meist in Chinarestaurants und oft zu unmenschlichen Bedingungen: Arbeit bis nach Mitternacht an sechs Tagen in der Woche, vier Mark Stundenlohn, kein Urlaub und bei Krankheit Entlassung. Bei einer Anzeige wegen Schwarzarbeit laufen sie Gefahr, abgeschoben zu werden.

Zu dem Problem der Sicherung des Lebensunterhalts kommt die Sorge um die Zukunft. Nachdem Bundesregierung und Unternehmen ihre Beziehungen zu China wieder „normalisiert“ haben, fürchten die StudentInnen einen harten Ausgrenzungskurs; bisher wurden die Visa noch um ein halbes Jahr verlängert. Aber schon in der zweiten Jahreshälfte kann die Situation kritisch werden. Das neue Ausländergesetz wird die rechtliche Lage noch einmal verschlechtern: Eine Verweigerung der Visumverlängerung könnte zu einer Flut von Asylverfahren führen. Und schlechte Erfahrungen gibt es schon jetzt: Obwohl alle TeilnehmerInnen an Solidaritätsaktionen bei einer Rückkehr nach China mit Verfolgung rechnen müssen, sind zumindest in Bayern bereits eine Reihe von Asylanträgen abgelehnt worden, die Bewerber werden zur Zeit nur geduldet.

Bespitzelung

Nur wenige StudentInnen möchten gegenwärtig nach China zurück. Die Angst vor der Rückkehr ist weit verbreitet: Wer sich „regierungsfeindlich“ betätigt hat, dem drohen in China Paßentzug, Ausreiseverbot, Verhöre, je nach Fall auch Strafverfahren. Selbst wenn die von der chinesischen Botschaft geführte Personenakte keine politischen Einträge enthält, gelten Rückkehrer aus dem Ausland als verdächtig und werden deshalb mit Benachteiligungen und Schikanen auf ihren Patriotismus überprüft. Die größte Abteilung der chinesischen Botschaft in Bonn „betreut“ die in der Bundesrepublik studierenden „Landsleute“. Die Pekinger Regierung hatte im Juli ihre Botschaften angewiesen, Erkenntnisse über regierungsfeindliche Aktivitäten chinesischer Staatsbürger zu sammeln und weiterzuleiten. Im September 89 wurde die Hälfte des Personals in der Bonner Botschaft abgelöst. Über alle StudentInnen wird nicht nur eine Akte geführt, sondern es werden auch deren Aktionen systematisch bespitzelt: In allen Universitätsstädten gibt es die unauffälligen „Betreuungskader“, die Auffälligkeiten an die Botschaft melden.

Von seiten der Botschaft wird aber durchaus auch schon in der BRD Druck ausgeübt: Weil der chinesische Studentenverband in Berlin Busse zur Demonstration am 1.10.89 in Bonn gemietet hatte, wurde der jährliche Finanzzuschuß der Botschaft gestrichen. Stipendiaten sollen gezwungen werden, unmittelbar nach dem Studienabschluß die Heimreise anzutreten, sonst werden noch fällige Stipendienraten nicht ausbezahlt, Pässe nicht mehr verlängert oder gar aberkannt. Zusätzlich nimmt sich das Botschaftspersonal die Zeit, Sünder mit Mahnbriefen zu läutern. Hier eine Kostprobe:

„Lieber X, ich weiß nicht, wie ist denn Dein gegenwärtiges Verhältnis zu Y? Nachdem die Sturmwellen vorüber sind (gemeint sind die Aktionen der Demokratiebewegung vom letzten Jahr; Anm. d. Red.), solltest auch Du einmal vernünftig nachdenken! Sehr viele Auslandsstudenten sind tief in die Politik hineingezogen worden, sie sollten zur Besinnung kommen! Die Situation in China ist nicht wie in Osteuropa. Viele Kommilitonen sind sich nicht darüber im klaren, was reaktionäre und was regierungsfeindliche Aktionen sind. Wer mit der 'Föderation für ein demokratisches China‘ Kontakt hat, gar der Organisation beitritt, der sollte schleunigst umkehren! Ich hoffe, daß Ihr darüber ernsthaft nachdenkt! Guten Fortschritt wünscht Z, 19. Januar 1990.“

Exilorganisationen

Angst vor Repressionen und die persönliche Überlastung durch Studium und gleichzeitiges Jobben sind die Hauptgründe, warum sich bisher nur etwas über hundert chinesische StudentInnen den politischen Exilorganisationen angeschlossen haben. Oft sind es nur drei oder vier Leute, die in einigen Unistädten Sektionen der „Förderung für ein demokratisches China“ (Min Zhen) gegründet haben. Diese Gruppen arbeiten noch weitgehend isoliert, mit nur wenig Kontakt zur bundesdeutschen Solidaritätsszene oder gesellschaftlich wichtigen Organisationen wie Gewerkschaften oder Parteien. Schlechte Koordination zwischen den Gruppen, Unerfahrenheit in der Öffentlichkeitsarbeit, mangelnde innere Demokratie, ins Zwielicht geratene Führer, Geldmangel und Konzeptlosigkeit sind nur ein Teil der Probleme, die den Anfangsoptimismus gedämpft haben. Die wenigen Nachrichten erscheinen in den ausschließlich chinesischsprachigen Studentenzeitschriften 'Demokratisches China‘, 'Chinas Frühling‘, 'Der Mai‘ und 'Nachrichten vom Rhein‘, was alle interessierten LeserInnen ausschließt, die nicht zufällig Chinesisch können. Trotzdem bedeutet die Existenz von Exilorganisationen einen riesigen Fortschritt. Sie sind, wenn schon nicht Chinas Rettung, so doch Chinas Gewissen.

Thomas Reichenbach